Tablet Classroom Interactions
Die Bedeutung der Interaktivität und Gruppenarbeit für ein effektives Lernen konnte nachgewiesen werden.
Fragestellung | Welche Rolle spielt die durch einen Einsatz von Tablets verstärkte soziale Partizipation für Schülerzufriedenheit und -leistung? |
Gerätekategorie | Universität, Computerwissenschaften |
Institution/Fach | Empirische Studie, quasi-experimenteller Ansatz ohne Kontrollgruppe |
Methode | Mehr Studenten bestehen den Kurs, weniger brechen ihn ab oder fallen durch. Es konnte eine allgemein erhöhte Studentenzufriedenheit berichtet werden. |
Einleitung
In der vorliegenden Studie ging es darum, mögliche Gründe für den positiven Einfluss zu untersuchen, die der Einsatz von Tablets auf die Leistung und Anwesenheitsraten der Lernenden hat. Die Autorinnen betonen, dass nur dann, wenn die Ursachen für die Wirkung der Tablet-Innovation identifiziert und genau in Augenschein genommen werden könnten, der Effekt erfolgreich in anderen Bildungskontexten wiederholt werden könne. Es gehöre zum erziehungswissenschaftlichen Konsens, dass jede alternative Lehrmethode in der Explorationsphase zum Reüssieren „verdammt“ sei, sobald sie nur mit genügend Enthusiasmus eingeführt und angewandt werde- und dies sei in Experimenten zu neuen pädagogischen Ansätzen so gut wie immer der Fall. Entscheidend sei aber vielmehr, ob ein so befeuerter anfänglicher Erfolg über die Testphase hinaus bestehen könne und sich somit eine Methode langfristig bewähre.
Die Autorinnen sehen ihr Interesse vor allem in der durch die Tablet-Nutzung verstärkten sozialen Interaktion zwischen den Schülern, als Schlüsselvariable, die einen Erfolg über die kurzfristige Begeisterung hinaus erklären und somit wahrscheinlicher machen könne.
Soziale Interaktion und Lernen
Nach konstruktivistischer Auffassung werde Wissen konstruiert, indem die Lernenden ihre eigene Repräsentation von aufgenommenen Informationen schüfen und in der Interaktion mit anderen übten, diese zu verteidigen. Die soziale Verhandlung von Bedeutung und Verständnis kennzeichne laut Konstruktivismus den fortlaufenden Prozess der interaktiven Wissensbildung.
Innerhalb der Lerngruppen-Theorie („Community of Practice“) werde der Wissenserwerb als holistisches Unterfangen verstanden, in dem die Person sich als Ganzes in Beziehung mit einer sozialen Bezugsgruppe erfahre, als ihr Mitglied. Dort würden neue Aufgaben bewältigt und ein gemeinsames Verständnis der Dinge erworben. Die Autorinnen zitieren Wenger (1998) mit den Worten: „By living in the world, we do not make meanings up independently of the world, but neither does the world simply impose meanings on us.” Auch hier werde der immerwährende Verhandlungscharakter von Wissen und Information, die nur in Beziehung zu der sozialen Realität ent- und bestehen können, betont. Das zu Grunde liegende theoretische Konzept verbinde die beiden Begriffe „Reifikation“ und „Partizipation“. Damit sei gemeint, dass es einerseits wichtig sei, sozial zu interagieren, um Dingen Bedeutung zuzuordnen (Partizipation), aber gleichzeitig dazu auch eine Form nötig sei, die zunächst eher deskriptiv und explizit ein Ding benenne (Reifikation). Um diese Form herum könne sich der soziale Verhandlungsprozess entspinnen. Beide Begriffe stünden einander komplementär gegenüber und gehörten gleichberechtigt zu dem, was Lernen bedeute. Zur Veranschaulichung wird folgendes Beispiel genannt: Vergegenständlichung ohne Partizipation sei wie ein Gesetz zu lesen, ohne Fallbeispiele dazu zu untersuchen.
Im traditionellen Lernumfeld könne es schwer sein, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Partizipation und Reifikation zu schaffen und zu wahren. Insbesondere in der klassischen Vortragender/Lehrer-Zuhörerschaft/Schüler-Konstellation würden partizipative Anteile des Wissenserwerbs vernachlässigt, so dass oft Tutorien nötig seien, um Informationen zu verstehen und Wissen zu vertiefen.
Implikationen für Lehren und Lernen
Um diesen Ansatz des „Community of Practice“ umzusetzen, sei eine veränderte Dynamik in der Lehrer-Schüler-Beziehung erforderlich. Während der Lehrer aufgefordert sei, Wissensressourcen zur Verfügung zu stellen, konzeptionelle und akademische Grenzen aufzuzeigen und dabei aber zur größtmögliche Freiheit in der Exploration der Konzepte zu ermutigen, müsse auch der Schüler lernen, mit diesen neuen Freiheiten umzugehen und die entsprechend wenig hierarchische Lehr- und Lernstruktur für sich mit größerer Eigenverantwortlichkeit für den eigenen Wissenserwerb zu verbinden, um zu einem befriedigenderen Selbstverständnis als aktiv Lernender zu gelangen.
Der Tablet-Klassenraum
In einem vollständig mit Tablets ausgestatteten Kursverband wurde laut Studie eine Programmiereinheit unterrichtet. Ziel war es, ein Lernumfeld zu schaffen, das größere soziale Partizipation und aktives Engagement der einzelnen Mitglieder einschließt. Die übliche Unterrichtsstruktur sei dahingehend reorganisiert worden, dass es jeweils dreistündige Workshops gegeben habe, in denen die Zeit frei eingeteilt werden konnte für Vorträge, Übungen und Problemlösediskussionen. Die Raumstruktur sei geändert geworden und die Studenten hätten nicht mehr frontal dem Dozenten gegenüber gesessen, sondern an durch das Ersetzen großeromputeranlagen mit den handlichen Tablets „barrierefreien“ Gruppentischen. Die inhaltlichen Vorgaben seien weniger streng und konkret gewesen. Die Studenten hätten das Material größtenteils einer speziell aufbereiteten Webseite entnehmen können und hätten viele Details selbst, oder in Gesprächen mit anderen und dem Dozenten, erarbeitet. Dieser habe sich frei zwischen den Studententischen bewegt und beispielsweise mehr Zeit gehabt, sich verstärkt den Studenten zu widmen, die mehr Fragen oder Schwierigkeiten mit dem Material gehabt hätten.
Der Ansatz verband eine stark auf Eigeninitiative ausgerichtete Aufgabenbearbeitung mit einer freien Verfügbar- und Ansprechbarkeit der Lehrperson. Erste Ergebnisse zeigen, dass Studenten mit diesem integrativen und innovativen Workshop-Modell weitaus zufriedener gewesen seien als mit dem vorherigen Kursaufbau. Die Quote erfolgreichen Bestehens des Kurses sei um 12% gestiegen, wohingegen die Abbruchquote bzw. die des Nichtbestehens um 19% gefallen sei.
Partizipation im Tablet-Klassenraum
Während durchaus mehrere mögliche Einflussfaktoren durch den Aufbau des Workshops variiert wurden, führen die Autorinnen den großen Erfolg des Modells auf die verstärkte soziale Interaktion zwischen den Studenten und dem Dozenten zurück. Diese sei, wenn sie auch durch den informellen Charakter der Workshops sehr gefördert wurde, komplett freiwillig gewesen und habe damit aber bei weitem das Niveau übertroffen, das in klassischen Dozenten-Studenten-Gruppen zuvor beobachtet worden sei. Auch die Studenten teilten offenbar mit 70% den Eindruck der verstärkten Zusammenarbeit im Vergleich zu konventionellem Unterricht.
Die Partizipation habe sich auch auf die Zufriedenheit der Studenten ausgewirkt, indem sie z. B. einen besseren Eindruck davon bekommen hätten, ob andere auch Verständnisfragen haben, miteinander diskutieren und sich so stark miteinander identifizieren können. Auch die Reifikation sei gefördert worden, da es ebenso zu den Aufgaben gehört habe, selbst nach relativ schwachen Vorgaben Computer-Programme zu erstellen. So sei ihr Verständnis im Spannungsfeld zwischen Partizipation und Reifikation verhandelt und mit Hilfe der 1:1 Tablet-Ausstattung ein intensives und produktives Lernen erzielt worden.
Fazit
Es konnte gezeigt werden, dass der Tablet-Klassenraum ein effektiveres Lernumfeld bietet als ein traditioneller Ansatz. Eine Vermutung der Autorinnen ist, dass die durch den neuen Aufbau verstärkte soziale Komponente dabei helfe, ein ausbalanciertes Verhältnis von Reifikation und Partizipation zu erzielen, das nach dem „Community of Practice“-Ansatz Voraussetzung für ein erfolgreiches Lernen und tiefgreifendes Verständnis von Dingen sei.
Tutty, J. & White, B. (2006). „Tablet classroom interactions“. From the Eighth Australasian Computing Education Conference (ACE2006), Hobart, Tasmania, Australia, 2006.