Geometrie und Architektur III/2012:

Der Zentralbau (Teil 1)
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Ein wesentliches Merkmal eines
Bauwerkes ist die mit ihm verknüpfte Gruppe automorpher
Kongruenztransformationen. Sie ist letzten Endes verantwortlich für den
Eindruck, den das Bauwerk auf uns hinterlässt.
Und hier wiederum ist eine
markante Unterscheidung die, ob Translationen vorkommen oder nicht (es
empfiehlt sich allerdings eine gewisse Großzügigkeit: die
Automorphismengruppe kann natürlich niemals Translationen enthalten,
sonst wäre das Gebäude unendlich groß. Man soll sich damit
zufriedengeben, wenn eine Translation vorhanden ist, die bei mehrmaliger
Ausführung wenigstens Teile des Baues in sich überführt).
Eine Gruppe automorpher
Kongruenztranformationen ohne Translationen nennt man Rosettengruppe,
eine solche mit einer Translation Friesgruppe und eine solche mit zwei
Translationen Wandmustergruppe. Alle spielen in der Architektur wichtige
Rollen.
Zentralbauten sollen nun so
charakterisiert sein:
Die Gruppe der automorphen
Kongruenzabbildungen eines Zentralbaues ist eine Rosettengruppe. |
Im Folgenden sollen
Zentralbauten auf der Basis eines Quadrates besprochen werden, da sie in
der Architektur eine dominierende Rolle spielen.
Fundamental ist hier die Verbindung
von Kugel mit Kubus.
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Ausgegangen wird dabei vom
Würfel mit den Eckpunkten (±a/±a/a±a), seine Kantenlänge ist somit 2a,
darauf wird eine Halbkugel gesetzt, deren Grundkreis der Umkreis der
obersten Würfelfläche ist, ihre Gleichung ist daher
[X - (0,0,2a)]² = 2a².
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Die Halbkugel wird nun durch
die Ebenen x = ±a, y = ±a abgeschnitten, wodurch man vier
Begrenzungshalbkreise mit dem Radius a erhält. Belässt man den Bau so,
dann spricht man von einer Stutzkuppel, die den einfachsten Typ
sphärischer Kuppeln darstellt.
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Schneidet man die Halbkugel
zusätzlich mit der Ebene z = 3a ab, so erhält man insgesamt vier
Halbkreise und einen ganzen Kreis mit dem Radius a, und es bleiben von
ihr nur vier Gewölbezwickel übrig, die Pendentifs (von frz. pendent =
hängend, was natürlich nicht der Realität, sondern höchstens einem
ersten Eindruck entspricht).
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Der oberste Kreis ist nun
Basis einer weiteren Kuppel, einer Halbkugel mit der Gleichung [X -
(0,0,3a)]² = a².
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Im Westen wird meistens noch
ein Drehzylinder dazwischen geschaltet, der Tambour. Er enthält oft
Fenster.
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Das ist der Kern des Baues, der manchmal, vor allem bei nicht allzu
großen Bauten, so belassen wurde, die edelsten Werke eines Brunelleschi
oder Michelangelo folgen diesem Schema.
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Das eben beschriebene Prinzip
wurde (nach den romanischen und gotischen Modellen für Sakralbauten) ab
dem 15. Jahrhundert wieder verstärkt angewendet, z.B. der
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Cappella dei Pazzi
in der Basilica di Santa Croce in Florenz, entworfen von
Brunelleschi in den 1420er Jahren,
http://de.wikipedia.org/wiki/Pazzi-Kapelle und
http://de.wikipedia.org/wiki/Filippo_Brunelleschi, oder in der
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Sagrestia Vecchia,
in der Basilica di San Lorenzo di Firenze, entworfen ebenfalls von
Brunelleschi in den 1420er Jahren,
http://it.wikipedia.org/wiki/Sagrestia_Vecchia, Bild aus
http://www.florentinermuseen.com/musei/medici_kapellen.html#
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Sagrestia Nuova,
ebenfalls in der Basilica di San Lorenzo di Firenze, entworfen von
Michelangelo, genau 100 Jahre später,
http://it.wikipedia.org/wiki/Sagrestia_Nuova, Bild aus
http://www.arteantica.eu/foto-opere/3789/michelangelo_buonarroti_michelangelo3789-64.jpeg
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Tempio di Santa Maria della Consolazione
in Todi,
http://it.wikipedia.org/wiki/File:Pianta.Consolazione.Todi.jpg,
erbaut während des gesamten (!) 16. Jahrhunderts. Eine (wenn schon
möglicherweise übertriebene, aber doch schöne) Überlieferung
schreibt Donato Bramante den Entwurf zu. Dieser war Chefplaner von
San Pietro in Rom, und sein Entwurf sah keine Basilika vor sondern
einen Zentralbau.
Dazu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Petersdom
Nebenbei bemerkt:
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Brunelleschi gilt als der Erfinder der
Perspektive (ebenfalls in den 1420er Jahren), wenngleich das erste
überlieferte Werk das Trinitätsfresko in der Kirche Santa Maria
Novella, Florenz, ist von Tommaso di Ser Cassai (genannt
Masaccio). Dieses Bild erregte wegen der neuen Technik
ungeheures Aufsehen und ist wegen der in Wirklichkeit
problematischen Perspektive bis zum heutigen Tag Gegenstand heftiger
Diskussionen.
Mindestens ein Jahrhundert dauerte die Herausbildung praktikabler
Konstruktionen; schließlich war das beliebte "Anstückeln" am Rand
einer Konstruktion bei großen Fresken in begrenztem Raum nicht
möglich.
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Normalerweise werden bei
großen zu überkuppelnden Räumen keine sphärischen Kuppeln verwendet,
da diese anscheinend eher einsturzgefährdet sind. Statt dessen wurde
ein Spindeltorus verwendet, beginnend bereits mit der Kuppel der
Cattedrale di Santa
Maria del Fiore in Florenz (Brunelleschi) mit einer Spannweite
von 45 Metern, besonders aber bei den riesigen Kuppeln der
Barockzeit. Diese wurden normalerweise in acht, manchmal auch in
zwölf Sektoren unterteilt.
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Das Quadrat (bzw. das
regelmäßige Achteck) als Basis wurde aus gegebenem, d.h.
theologischem Anlass durch das gleichseitige Dreieck ersetzt,
besonders interessante Bauwerke sind die
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Pazzi Kapelle

Neue Sakristei

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Alte Sakristei

Bramantes Entwurf für San
Pietro
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Alle vorgestellten Bauwerke eignen sich sehr gut für eine Konstruktion
mit Blender, MicroStation, ...
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