Wie das Denken erwachte
Das Buch ist Teil einer neuen Reihe, die aus der Kooperation der beiden Verlage entstanden ist. Der Inhalt gliedert sich in fünf Teile: Tierische Vorläufer, archäologische Spuren, Sprache, Verhalten, Religion. Man erfährt in diesem Buch viel Neues: ...
Buchtitel: Wie das Denken erwachte. Die Evolution des menschlichen Geistes. Reieh Gehirn & Geist
Autorinnen: Jahn A
Verlag: Schattauer
Erschienen: 2012
... Etwa im Teil I: "Intelligenz ist in der Evolution offenbar auf verschiedenen Wegen entstanden" (S 13), Tiere verfügen über weit mehr Intelligenzfähigkeit als bisher angenommen wurde. Brisant auch die Erkenntnis, dass es offensichtlich keines Neokortex bedarf, um überdurchschnittliche Klugheit zu erreichen. Leistungsfähige Gehirne entstanden in der Evolution mehrfach unabhängig voneinander. Es gibt allerdings Eigenschaften, die den Menschen wesentlich von Tieren unterscheiden: Seine schöpferische Kraft und Kombinationsgabe, seine Fähigkeit zur Symbolbildung und sein Abstraktionsvermögen. Tierbeobachtungen, insbesondere bei Kapuzineraffen, zeigen, dass es Kultur auch bei Tieren gibt, z.B. im Werkzeuggebrauch oder bei "rituellen" Verhaltensweisen, die nicht genetisch rückführbar sind, sondern in der jeweiligen Gruppe oder Gemeinschaft tradiert werden. Und es gibt auch so etwas wie biologische Grundlagen für das Mitgefühl, z.B. reagieren Mäuse, die sehen, wie Artgenossen Leid zugefügt wird, auch mit deutlichen Verhaltensweisen und zwar immer sensibler, je öfter sie die Beobachtungen machen.
Der zweite Teil informiert darüber, dass es eine "kognitive Archäologie" gibt, diese "gewährt ..spannende Einblicke in das Denken unserer Vorfahren seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte" (S 48). Die kognitive Entwicklung zeigt sich an der Art der Alltagsbewältigung. So wird eine erste kognitive Revolution sichtbar an der Herstellung symmetrischer Werkzeuge aus Stein, es gab sozusagen eine kommunizierbare Formbewusstheit. Damit kündigte sich schon die darstellende Kulturstufe an, die Nachahmung. Diese wurde erweitert durch die zweite kognitive Revolution, die Erfindung eines echten Wortschatzes. Dann schritt die Entwicklung weiter zum symbolischen Verständnis und zur integrativen Kraft mythischer Erzählungen, die theoretische Entwicklungsstufe machte innovative Verknüpfungen von Ideen möglich. Teil II schließt mit Ausführungen, die belegen, dass bereits der Neandertaler ähnlich gute Geistesgaben besaß wie der moderne Mensch.
Der Teil III beschäftigt sich mit Sprache als soziales Bindemittel, mit einem Sprachgen und mit dem Versuch, die menschlichen Lautsysteme und ihre Entwicklung aus der evolutionären Spieltheorie zu erklären.
Teil IV weist darauf hin, dass Varianten im Erbgut unser menschliches Verhalten bestimmen. Aber umgekehrt gilt auch, was lange Zeit nicht denkbar schien: persönliche Lebenserfahrungen beeinflussen unser Erbgut, häufig genutzte Verknüpfungen wachsen, werden ausgebaut, aber auch traumatische Einzelerfahrungen können nachhaltige Veränderungen bewirken. Der Mensch ist außerdem ein empathischer Egoist, Gemeinsinn und Eigennutz liegen beide in der menschlichen Natur und sind in Balance zu halten. Eine andere Form von Balanciertheit zeigt sich in der höheren Attraktivität (und damit einen Paarungsvorteil und Erbgutweitergabevorteil) von Durchschnittsgesichtern, die ihrerseits für eine gute Durchmischung der Gene sprechen.
Ein abschließender Teil befasst sich mit der Frage, welchen evolutionären Vorteil Religiosität bietet. Forscher erblicken die Wurzeln der Religion u. a. im Bestattungskult, bzw. erklären ihre Ursprünge psychologisch auch aus einer Art Objektkonstanz (Abwesende bleiben mental präsent) von wichtigen Bezugspersonen, falls diese zeitweise oder überdauernd nicht optisch oder anders direkt verfügbar waren. Religiosität bewirkt evolutionstheoretisch gesehen stabilere Ehen, mehr Kinder, religiöse Männer werden als vertrauenswürdiger in mehrfacher Hinsicht von ihren Partnerinnen eingeschätzt. Religiosität zeigt sich auch in einer höheren Rate sozialen ehrenamtlichen Engagements. Dennoch wird auch nicht verschwiegen, dass Religiosität auch missbraucht werden kann z.B. in Form einer "Legitimierung" von sozialen Ungleichheiten.
Es liegt ein spannend informierendes Buch mit vielen Bildern, prägnanten Aussagen "auf einem Blick" und Forschungsergebnissen vor, das für naturwissenschaftlich und für geisteswissenschaftlich orientierte Leser gleichermaßen interessant und lehrreich ist. Das Buch könnte auch ab der 10. Schulstufe in mehreren Schulfächern sinnvoll eingesetzt werden!