Nächtelang und meilenweit. Was Freundschaft ausmacht
Freundschaft baut Brücken über kulturelle Grenzen hinweg und ist letztlich ein Geschenk, das man nicht hoch genug einschätzen kann.
Autorin: Sigg S
Verlag: Innsbruck Wien: Tyrolia
Erschienen: 2015
Zum Inhalt
Zunächst: Die Idee ist "Gold" wert! Über die Freundschaft ist zwar in der Vergangenheit viel geschrieben worden, und "Freundebücher" mit verschiedenen Eintragungsmöglichkeiten sind nach wie vor ein Hit bei Kindern und auch bei Jugendlichen. Aber in der Gegenwart gibt es - oder besser gesagt: gab es - bis jetzt kaum etwas über Freundschaft. Das vorliegende Buch spricht wahrscheinlich schon 14jährige an, adressiert aber auf jeden Fall 16jährige (wie man der Seite 128 entnehmen kann). Das Buch greift sich angenehm an - es erinnert vom Seitenmaterial an ein Fotobuch. Und tatsächlich erwartet den Leser/die Leserin eine Fülle von optischen Reizen: Verschieden färbige Seiten mit Sprüchen, Zeichnungen, Bildern, lebhaft wechselnden Schriftformaten.
Der Autor - um vom Äußeren zum Inneren zu kommen - ist ein 33 Jahre junger Theologe aus der Schweiz. Die Betonung seiner Jugend ist begründet: Wahrscheinlich findet der Autor dadurch den "richtigen Ton" im Umgang mit Jugendlichen, ganz sicher aber liegt in der Jugendlichkeit des Autors der Schlüssel für seine Energie und seinen Idealismus, mit dem er die Vorzüge der Freundschaft beschreibt.
Das Inhaltsverzeichnis fasst das Konzept des Autors gut zusammen: Freunde findest du ohne Casting nicht durch Ausscheidungswettkämpfe), sie reicht meilenweit (zeitweilige große Wohnortdistanzen sind kein Hindernis), besser als allein zu sein ist es offen zu sein für viele Kontakte, Freundschaft scheitert nicht an Problemen: Im Schatten des Freundes stehen, Streit, schlechte Zeiten.. Freundschaft baut Brücken über kulturelle Grenzen hinweg und ist letztlich ein Geschenk, das man nicht hoch genug einschätzen kann.
Das Buch hat neben den längeren Texten auch kurze Gedanken, die teilweise aphoristisch anmuten, teilweise wie Gebete formuliert sind, manchmal sogar explizit wie z.B. auf Seite 101.
Fachlich betrachtet ist ein Bonus zu vergeben für die Palette an Freundschaftsthemen, die von Beziehungsverletzungen ebenso handeln wie von Erwartungen an die Freundschaft, z.B. ist die Darstellung der Einsamkeit, aus der heraus ein Suizid angekündigt wird, eindrücklich gelungen, ebenso die Beschreibung des behutsamen Herantastens an den anderen, bei dem man ein Problem vermutet, gelungen auch der Appell, ganz offen miteinander über Probleme zu reden. "Freunde sein ist nicht nur Grinsen und abgefahrene Party-Schnappschüsse" (Seite 87). Es gibt Probleme und Situationen, bei denen fachliche Hilfe möglichst rasch eingreifen muss, damit der Freund, die Freundin (als Trostchampion, Seite99) dem Ertrinkenden nicht die Hand zu lange reichen - und selbst untergehen. Dieser Hinweis auf professionelle Hilfe (Schulpsychologie, Betreuungslehrer/innen, Psychotherapeuten) ist nicht leicht unterzubringen. Umso wichtiger, dass der Autor auf Seite 92f in sehr überzeugender Form auf Hilfe durch Profis hinweist.
Ob das Schwergewicht der Ausführungen alters-situationsgerecht eher auf externalem Begeisterungsverhalten liegt - "Du bist mein Weggefährte, ich bin dein Mitstreiter, wir heben gemeinsam ab" (Umschlagseite) - oder, ob die stilleren Formen der Freundschaft hier eben auch stiller sind, mag der/die Leser/in beurteilen.
Seite 124 führt eine besondere Hilfe an: Gott und der Heilige Geist (der dreifaltige Gott und der Heilige Geist??) "schweißen" zusammen, sorgen für einen klaren Kopf! Das mag die christlichen Jugendlichen motivieren, andere, nicht religiöse Leser/innen befremden. Eine kurze Anmerkung, dass Letztere das Buch dennoch nicht aus der Hand legen müssen, könnte hilfreich sein.
Insgesamt: Anregend, engagiert, idealistisch (was aber den Praxis-Nutzen nicht ausschließt)!