Morton Mies
Das erste Projekt des Wiener Instituts für Systemische Therapie war von Erfolg gekrönt: Eine Puppe zur Darstellung der Magersucht, "Ana Ex" genannt, ist die personifizierte Anorexie. Sie verrät in einem Gespräch mit einer Psychotherapeutin ihr Wissen über den Hintergrund, die Ursachen und...
Buchtitel: Morton Mies. Wie die Depression siegt und wie sie scheitert.
Autorinnen: Institut für Systemisch Therapie Wien
Verlag: Carl-Auer
Erschienen: 2011
...Folgen der krankhaften Ernährungseinschränkung, aber auch ihrer Bewältigung und Heilung. Anregung für die Idee, Betroffenen und deren Angehörigen die Auseinandersetzung mit der Krankheit zu erleichtern, indem die Krankheit als Puppe dargestellt und quasi nach außen verlagert, externalisiert wird, gab der japanische Psychiater Yasunaga Komori, der mit der Puppe namens "Mr. Shizo" die Schizophrenie verkörperte und damit handhabbarer, besprechbarer machte.
Nun gibt es ein Folgeprojekt, "Morton Mies" - eine Auseinandersetzung mit dem Thema Depression. Diese Puppe setzt sich - geschickt geführt von einem professionellen Puppenspieler- auf die Rückenlehne eines Sofas und unterhält sich mit einer Psychotherapeutin. Sie teilt in diesem Interview viel mit: Unterschiedliche Erscheinungsformen, Wirkmechanismen, krankheitsverstärkende Zirkel ("Teufelskreise"), Strategien gegen die Depressionen u. v. a. m. Man gewinnt in knapp einer Unterrichtseinheit einen großen Überblick. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch dieses Konzept auf großes Echo stößt! Dennoch seien einige Anmerkungen erlaubt, die das Projektteam für weitere Projekte bzw. Neuauflagen berücksichtigen könnte.
Zunächst rein formal: Es ist sicher hilfreich, neben den einleitenden Hinweisen auch eine Information über die Systemvoraussetzungen der DVD zu erhalten.
Weiter könnte das Team im eingelegten Faltblatt eine kurze Angabe dazu machen, wie es zur Wahl der Puppen kam, m. a. W. warum ist "Ana ex" eine Göre in Pippi-Langstrumpf-Art und warum ist Morton Mies ein älterer Herr, der spontan die Assoziation mit Freud hervor ruft? Es wäre wichtig zu relativieren: Die getroffene Wahl will nicht zum Ausdruck bringen, dass Depression eine Angelegenheit des Alters sei (bzw. Magersucht nur eine Frage der Pubertät).
Inhaltlich wird ein großer Bogen geschlagen, Erschöpfungsdepression, neurotische Depression, narzisstische Depression, saisonale Depression u. v. a. m. werden nie mit Namen genannt, sondern mit ihren Symptomen umschrieben. Der Vorteil, in einer Alltagssprache zu bleiben, hat auch einen nachteiligen Schatten: Die Grenzen zwischen den verschiedenen Formen fließen ineinander. Dominant ist das Thema der Selbstüberforderung durch überhöhte Leistungsansprüche, die daraus folgende Frustration führt zu einer Selbstentwertung und depressiven Abwärtsspirale. Die Äußerungen betreffend Medikamente sind zwiespältig und sehr kurz gehalten. Einerseits werden Medikamente als Lösungen gegen die Symptome und damit Verhinderung einer tieferen Ursachenergründung von Herrn Mies als Depressionsverstärker geschätzt, andererseits gibt es eine kurze Äußerung, dass Medikamente zur Unterstützung notwendig sein könnten. Mit anderen Worten: Der psychische (vor allem kognitive) und systemische Faktor wird stärker zum Ausdruck gebracht als der somatische.
Zwei dramaturgische Hinweise: 1) Die Vielfalt der Erscheinungsformen der Depression hätte auch eine Idee plausibel gemacht, nämlich ein Interview mit einer Gruppe (von Puppen) zu führen. 2) Sowohl Ana Ex, als auch und ganz besonders Morton Mies geben eine Fülle hilfreicher Hinweise dazu, wie man sie bekämpfen kann. Beide Puppen symbolisieren Krankheiten und zeigen erstaunliche Kooperationsbereitschaft unterbrochen von launischen, abwehrenden Ausbrüchen. Hier könnte man sich etwas einfallen lassen, was diese Mithilfe verständlich macht - und sei es eine "Zaubergeste" oder ein "Zauberwort" der Psychotherapeutin.
Eine Anregung noch: Es wäre auch der Kulturtransfer zu überlegen. Komori selbst www.dulwichcentre.com.au/innovations-and-challenges-in-japan.html führt drei Fakten an, die für Japan kennzeichnend sind: der bedeckte Umgang mit Gefühlen, die Mehrdeutigkeit von Gefühlsäußerungen im Japanischen und schließlich auch die lange Tradition des Puppenspiels. Einige Anmerkungen im Informationsfaltblatt zur DVD könnten Überlegungen dazu enthalten.
Eines kann man aber auf jeden Fall sagen: Bei der Arbeit mit Betroffenen und deren Angehörigen ist die Externalisierung sicher auch in unserem Kulturkreis, wahrscheinlich global, eine Erleichterung verglichen damit, direkt angesprochen zu werden. Es ist daher ein interessantes Projekt gelungen. Die DVD wird sicherlich mit etlichen Inhalten Diskussionen in Fachkreisen auslösen (deshalb könnte die DVD auch in Psychotherapieausbildungen verwendet werden, um unterschiedliche Positionen zu klären). Sie hilft, das Thema besprechbar machen, auch z.B. im Unterricht und nicht nur in therapeutischen oder psychoedukativen Situationen. Insofern ist dem Projektteam zu gratulieren und sollten die oben angeführten Anregungen als Ermutigung zu Folgeaktivitäten aufgefasst werden!