Lasst unsere Kinder spielen!
Das Buch lässt mit einem ansprechenden Appell als Haupttitel aufhorchen: Lasst unsere Kinder spielen! Hier stimmt man eifrig zu, wenn man - wie der Autor im Vorwort - zwei Gefahren sieht: Überschüttung mit trendigen Spielzeugen für den Augenblick auf der einen Seite und Lerndruck, ...
Buchtitel: Lasst unsere Kinder spielen! Der Schlüssel zum Erfolg.
Autorinnen:Zimpel A F
Verlag: Vandenhoeck& Ruprecht
Erschienen: 2011
...Wissensindustrie, Wirtschaftsorientierung und Überschwemmung mit Bildungsangeboten auf der anderen Seite.
Der Untertitel macht etwas stutzig: Geht es doch um eine gewisse Erfolgspragmatik des "zweckfreien" Spiels ( man erinnere sich an die frühen Sensitity-Trainings für Mitarbeiter, deren vordergründiges Ziel das Wohlbefinden war, das hintergründige freilich die Produktions- und Qualitätssteigerung)?
Aber der Autor klärt die Frage selbst auf. Er hofft, dass alle "im freien Spiel einen zu unrecht verworfenen Schlüssel zum Erziehungserfolg erkennen" (S 146). Es geht also um den Erfolg in der Erziehung, einen spielend erwirkten umfassenden Erfolg. Denn das Buch führt dazu mehrere Argumente an und gliedert die Argumentation in drei Thesen: Spiel befreit das Denken von der Wahrnehmung(z.B. durch Abstraktionsleistung für die Ersatzbildung), Spiel zeigt die nächste Entwicklungsstufe (dies ist für eine evolutive Förderung wichtig), Spielen optimiert das Verhältnis von Aufmerksamkeit und Lernen. Der Autor führt als Unterstützer seiner Thesen einige Klassiker der Entwicklungsforschung bzw. -förderung und ihre Impulse an: "Fröbels Spielidee, Skinners Entdeckung der Erfolgsrückmeldung, Montessoris Untersuchung der Aufmerksamkeit, Lewins Würdigung der Fantasie, Piagets Spiel- und Stufentheorie, Wygotskis Analyse der Eltern-Kind-Kommunikation" (S 146). Ergänzt werden die klassischen Befunde durch neurobiologische Erkenntnisse (mit Erlebnissen korrelierte Substratveränderungen erhalten Belegcharakter bzw. werden vorhandene Strukturen, etwa die neuronalen Netzwerke, in ihrer Notwendigkeit und Ermöglichung komplexer Leistungen -z.B. von Metakompetenzen - unterstrichen). Dazwischen finden sich noch viele andere Forschungsergebnisse, manche allerdings nur angedeutet, ohne die Nachvollziehung erleichternde Ausführung. Z.B. untersuchte Lewin Kinder mit Lernschwierigkeiten mit dem Rorschachtest auf Fantasiemangel. Der Autor deutet an (S 51f): "In diesem Experiment sollen Testpersonen raten, was speziell aufbereitete Tintenklecksmuster darstellen könnten. Lewin ist es meiner Ansicht nach mit seinen Untersuchungen gelungen, einen leider oft übersehenen Zusammenhang zu verdeutlichen: den Zusammenhang zwischen freiem Spiel und der Entwicklung der Fantasie." (Ein Hinweis auf die eigentliche Testintention, Wahrnehmung und Deutung, und - speziell für den Nachweis mangelnder Kreativität - auf die geringe Anzahl von sogenannten Bewegungsantworten, d.h. Einfühlungen in anderer Personen (Bewegungs-) Intentionen, wäre hilfreich und nicht zu aufwendig gewesen, abgesehen davon, dass dieses Kreativitätskriterium diskussionswürdig ist). Am Schluss der jeweiligen Kapitel gibt es eine Zusammenfassung, eine Reflexionsaufgabe und eine Beobachtungsaufgabe. Nicht immer ist man überzeugt davon, dass der notwendige Grad an Operationalisierung gelungen ist. Z.B Seite 105: Reflexion: "Beobachten Sie sich selbst bei ausgewählten Alltagshandlungen und kommentieren Sie diese laut. Welche Auswirkungen auf das Reflexionsniveau dieser Alltagshandlungen können Sie beobachten?" Oder auf derselben Seite: Beobachtung: "Fragen Sie spielende Kinder nach der Bedeutung ihrer Spielgegenstände und der Rolle, die sie in ihrem Spiel einnehmen. Welche Auswirkungen haben Ihre Fragen auf das Spielverhalten?"
Abgesehen von diesen Anmerkungen kann man dem Autor viele interessante Impulse konzedieren, die nun beispielhaft und stichwortartig angeführt werden und sicher das Interesse der Leserschaft wecken werden: Senso-und Mnemomotorik, die Macht des Irrealen, Ersatzwert als Abstraktion, Spiel als Assimilation, Sujet- und Rollenspiele, vom Körperselbst zum Ich-Gefühl, Metakompetenzen für bildungshungrige Kinder, die Spielstufendiagnostik u. v. a. m. Nachdenkenswert ebenfalls der Hinweis, dass sich Doppelbindungen im Spiel auflösen lassen.
Im Spiel werden der Entwicklungsstand und die nächsten Entwicklungszonen im darstellenden, gestischen oder verbalen oder instrumentalen Bereich gesehen: "An sich, für andere und für sich" sind wichtige Phasen, wie Wygotsky darlegt. Überzeugend die Beispiele Kritzeln, Greifen und Schreiverhalten des Kindes ( S 76): Die biologische Funktion wird zur Botschaft und dann zum Werkzeug.
Entscheidend ist die Kernaussage des Buches, nämlich das Spiel als Chance für die Entwicklung anzuerkennen, es fördert die Fantasie und Kreativität, wie der Autor immer mit Rückverweis auf die Neurobiologie belegt. Sein Credo lautet: "Genauso wie das egozentrische Sprechen die Vorform des verinnerlichten verbalen Denkens ist, ist das Spiel die Vorform der gedanklich vorgestellten Bedeutung. Kurz: Fantasie ist verinnerlichtes Spiel." (S 80) Und Fantasie ist überlebenswichtig, Kinder brauchen sie, denn: "Werden sie Lösungen für die drängenden Probleme unserer zukünftigen Existenz auf diesem Planeten finden? Geben wir ihnen Raum und Zeit, die dafür notwendige Fantasie zu entwickeln!" ( S 146)