Katathym Imaginative Psychotherapie.
Lehrbuch der Arbeit mit Imaginationen in psydyn. Psychotherapie
Wie man die Fantasie des Menschen nutzt, um seine Selbstheilung zu fördern, das zeigt dieses Lehrbuch in hervorragender Weise.
Wie man einen Menschen dazu bringt, einen Tagtraum zu entwickeln, wie man mit den initiierten und spontanen Imaginationen therapeutisch umgeht, wie man den Patienten bei diesem Tagtraum konsequent und zugleich behutsam begleitet, beschreiben die Autoren nachvollziehbar.
Buchtitel: Katathym Imaginative Psychotherapie. Lehrbuch der Arbeit mit Imaginationen in psychodynamischen Psychotherapien.
AutorInnen: Bahrke U u Nohr K
Verlag: Heidelberg: Springer
Erschienen: 2013
Zum Inhalt
Imaginationen sind (wie auch Träume, Enactments u. a. m.) Tore, durch die man von der erlebten Sackgasse zum freien Feld der menschlichen Möglichkeiten geführt wird. (Vorwort). Auch das Coverbild zeigt eine Art Tor (ein metallischer Riesenbogen, im Freien stehend. Auf beiden Seiten des Torbogens deutet sich noch keine Unterschiedlichkeit an, sodass der Sinn des Durchgehens latent bleibt).
Wie ist das Lehrbuch aufgebaut? Zunächst erfolgen grundsätzliche Anmerkungen zum Wesen der Imagination, die die Autoren als aktiv herbeigeführtes Erleben dem passiv erlebten Traum (Freuds Königsweg zum Unbewussten) gegenüber stellen. C. G. Jung ist dieser Weg zum Unbewussten zu verdanken. Danach wird der Therapiebeginn in der Katathym (d.h. gefühlsgemäßen) Imaginativen Psychotherapie (kurz KIP) beschrieben: der Erstkontakt, die Indikation, Behandlungsvereinbarungen u. v. a. m. Hintereinander werden dann drei unterschiedliche psychodynamische Behandlungsformen, eine Kurzzeittherapie mit Imaginationen, eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie mit Imaginationen und eine analytische Psychotherapie mit Imaginationen detailliert beschrieben. Als Leser erlebt man die einzelnen Therapieschritte und Überlegungen zum Vorgehen, die Wahl von Interventionsalternativen plastisch mit. Ein breites Kapitel ist dann der systematischen Darstellung der Arbeit mit therapeutischen Imaginationen gewidmet: Die therapeutischen Haltungen, Interventionstechniken, Imaginationsbegleitungen u. v. a. m.). Schließlich wird kurz, aber prägnant und eindrucksvoll die Indikationsbreite der Katatyhm Imaginativen Psychotherapie dargestellt: Gruppenpsychotherapie, Kinder-und Jugendlichenpsychotherapie, Paartherapie, KIP in der Psychosomatik, Alterspsychotherapie und Coaching. Hinweise auf die Imagination in Kunst und Geistesleben runden das Buch ab.
Es gelingt den Autoren eine Darstellungsweise, die neugierig macht, nicht ermüdet und dennoch viele Einzelheiten enthält, dichte Informationen zum Therapieprozess bringt, diese aber wieder in einer auf Verständlichkeit bedachten Art - das Buch soll ja ein Lehrbuch sein.
Herzstück der Ausführungen sind die drei Fallberichte, von denen man wirklich viel lernen kann. Die Ausführlichkeit und Detailliertheit der Angaben zur Person helfen beim Nachvollzug des Therapieverlaufs zu einem tieferen Verständnis. (Allerdings löste die Vielzahl an konkreten Personenangaben, anamnestisch, symptombezogen, hinsichtlich der Lebensumstände usw. beim Rezensenten ein leicht unbehagliches Gefühl angesichts der vielen Möglichkeiten der Computer-Rasterung aus. Die Autoren versichern allerdings, dass sie anonymisiert haben und die Zustimmung der Patientinnen zur Veröffentlichung eingeholt haben).
Einige formale und einige grundsätzliche Anmerkungen seien dem Rezensenten gestattet. Das Lehrbuch bringt neben zahlreichen verfahrenstechnischen Hinweisen viele nützliche Verbalisierungsvorschläge für die Einleitung, Begleitung und Ausleitung der Imagination. Die richtige Formulierung und sprachliche Feinfühligkeit ist eine viel Übung erfordernde Fertigkeit. Dass auch dieses akribisch durchkomponierte Werk Ergänzungen „vertragen“ kann, mögen die Autoren wohlwollend aufnehmen. Die eine Anregung betrifft Überlegungen zur sprachlichen Formulierung z.B. der Imaginationseinleitung. Die Autoren sprechen davon, a) eine Vorstellung vor dem inneren Auge auftauchen zu lassen, b) diese zu beschreiben, c) so dass der Therapeut sich es auch vorstellen kann (Seite 25).
Formulierung a) eine Vorstellung vor dem inneren Auge auftauchen zu lassen entspricht der Dominanz der optischen Wahrnehmung, die aber nicht für alle Patienten gleichermaßen vorausgesetzt werden kann. Offener wäre: "Stellen Sie sich bitte....vor". Diese generellere Form wird ohnehin an vielen Stellen des Buches verwendet, sie entspricht auch mehr der auf Seite 9f beschriebenen breiten kinästhetischen (körperlich emotionalen) Erfahrung. Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Beendigung der Imagination: "Die Imagination wird gleich ausklingen" (Seite 28). Hier wird die akustische Wahrnehmung hervorgehoben. Interessant ist, dass im gegebenen Beispiel) beim Einleiten von den Autoren visuelle Wahrnehmungen angeregt werden und beim Ausleiten akustische, d.h. dass variiert wird. Insgesamt sollte man verschiedene Modalitäten ansprechen: "Ausklingen, blasser werden, sich lösen von..." Ein entsprechender Hinweis sollte im Lehrbuch erfolgen. (Sehr interessante Ausführungen zur akustischen Dimension von Imaginationen finden sich auf Seite 157ff). Eine ganz andere, semantische Frage wirft sich bei der Formulierung auf: "Wir müssen jetzt so langsam zum Ende kommen" (Seite 28). Weniger "beziehungs-dramatisch" wäre: "Unser Traum geht langsam zu Ende".
Formulierung b) die Vorstellung zu beschreiben forciert, wie aus linguistischer Perspektive bestätigt wurde, die kognitive Leistung einer Beschreibung. Ganzheitlicher wäre die Formulierung: "Wie ist der/die... ? Wie erleben Sie ihn/sie?.." Ähnliches gilt auch für die vielen Beispiele im Buch mit Aufforderungen zum Berichten (z.B. Seite 141).
Formulierung c) so dass der Therapeut sich es auch vorstellen kann ist möglicherweise für Patienten mit altruistischer Abtretung oder anderer Überorientierung am Außen nicht geeignet. Sie versuchen ohnehin, den Ansprüchen anderer gerecht zu werden. Weniger die Leistung für den Therapeuten, sondern das Bemühen für die Therapie fokussierend, und weniger die (Gegen-)Übertragung im Sinne einer fordernden Beziehung beeinflussend wäre: " ..teilen Sie mir bitte mit...damit ich Sie begleiten kann." Es soll sich der Patient zwar dialogisch mitteilen, aber er muss nicht hauptsächlich danach streben, dass der Therapeut sich etwas gut vorstellen kann. Der Therapeut kann ja fragen, wenn er eine Antwort braucht.
Eine weniger formale, sondern grundsätzlichere Anregung betrifft konzeptionelle Überlegungen. Z.B. die Balance zwischen Symbolwirkung und Beziehungswirkung. So betonen die Autoren, dass das Primat der therapeutischen Wirkung in der imaginativen Kraft symbolischer Prozesse selbst zu sehen - wie dies der Begründer der Katathym Imaginativen Psychotherapie, Leuner, getan hat, nicht mehr dem heutigen Stand des psychodynamischen Selbstverständnisses entspreche. Die Imaginationen – so die Autoren - setzen nicht relativ autonom und individuell angepasst Konfliktmaterial frei, sondern sind ein Produkt der therapeutischen Beziehungsdynamik (Seite 2f). In einer weiteren Auflage des Lehrbuchs sollten - zumindest in einem Exkurs - die Überlegungen angeführt werden, die den "Paradigmenwechsel" zur zentralen Bedeutung von Übertragung und Gegenübertragung herbei geführt haben, damit der Leser ohne Vorkenntnisse die neue Akzentuierung nachvollziehen kann und nicht einfach hinnehmen muss. Was bedeutet diese Umorientierung, wird der Leser fragen? Handelt es sich um eine "Reaktionsbildung" des sich nun stark in Szene setzenden, weil bisher hinter dem Kopfende der Couch fast entpersonalisierten, unsichtbaren, Psychotherapeuten? Selbstverständlich nicht! Muss logisch argumentierbar das Vorherrschen der therapeutischen Nutzung der Beziehungsdynamik die völlige Abdankung der Anerkennung der Wirkkraft der Symbole bedeuten? Keinesfalls! Die therapeutische Relevanz liegt möglicherweise in der klassischen Frage „Agieren oder Reflektieren“, diesmal aber nicht an Moreno gerichtet, sondern an Leuner. Der Leser stellt vielleicht die Frage, ob das Erleben und Handeln in der katathymen Imagination schon therapeutisch wirkt oder ob Imaginieren ein die Verbalisierung unterstützendes Instrument unter vielen anderen darstellt (wie Träume, Verstehen, Szenen etc. ) Seite VII. Der Rezensent meint, beides trifft zu. Der Leser fragt, wie hoch ist die Bedeutung der Imagination? Die Autoren schätzen sie sehr hoch ein. Sie schreiben der Imagination jedenfalls viele Funktionen zu: eine Ausdrucks- und Klärungsfunktion, eine Verlebendigungsfunktion, eine Stabilisierungsfunktion und eine ästhetische (künstlerisch-kreative) Funktion. (Seite 15) und sie beschreiben die vielfachen Einsatzmöglichkeiten. Ein unbefangener Leser könnte denken, ja, die Übertragungs-/Gegenübertragungsanalyse in der verbal vermittelten Interaktion ist wesentlich, aber sind damit die spontan in der Imagination sich konstellierenden Konflikte „gänzlich vom Tisch“? Warum ein Henne- oder - Ei –Problem, ein fundamentales Entweder-Oder von Wort und Bild, warum nicht beides gleichrangig, additiv, multiplikativ, fragt unser Leser? Die Antwort: die Verbindung von Wort und Bild geschieht ja, wie das Buch zeigt, das Wort profitiert vom Bild, das Bild braucht die Übersetzung ins Wort. Der von den Autoren angepeilte Leser ohne Vorkenntnisse wird all diese Fragen stellen und braucht Argumente für die dennoch erfolgende Verlagerung der eigentlich therapeutischen wirksamen Dimension vom Symbol auf die Beziehung, denn - so die Autoren - die therapeutische Beziehung bedient sich ..der Imagination (Seite 2). Die Imagination wird von der Beziehungsdynamik produziert (Seite 3). Die Imagination ist somit - nach Ansicht der zentralen Bedeutung der therapeutischen Beziehungsdynamik - ein Epiphänomen. Der Leser wird Argumente brauchen, denn er denkt vielleicht noch "im Anfang war das Bild".
Eine grundsätzliche Spannung deutet sich im Verhältnis des Titels zum Untertitel des Buches an: Im Titel ist die Katathym Imaginative Psychotherapie angesprochen, ein eigenständiges Verfahren mit einer eigenständigen Anthropologie, die das psychodynamische Verständnis durch die konsequente Hereinnahme des animal symbolicum anreichert, ein Verfahren, das die Symbolkraft der Imaginationen intensiv therapeutisch nutzt. Im Untertitel ist die Rede von der Arbeit mit Imaginationen in psychodynamischen Psychotherapien. Im Rückendeckel-Text sogar gesteigert: Einsetzbar in allen psychodynamischen Verfahren! Ist die KIP ein "tool"? Oder mehr? Ein Vergleich mag illustrieren, worum es geht: Sind die Imaginationen so generell zu verstehen wie die drei Grundhaltungen nach Rogers (Einfühlung, Echtheit, Wertschätzung) oder so spezifisch wie z.B. die systematische Desensibilisierung in der Verhaltenstherapie? Die Rogersschen Variablen lassen sich unschwer als wichtige Grundhaltungen des Therapeuten in die meisten psychotherapeutischen Verfahren integrieren. Die systematische Desensibilisierung lässt sich zwar auch in anderen Verfahren abbilden, aber ist doch relativ eng mit der klassischen Verhaltenstherapie verknüpft. Ist das katathyme Imaginieren etwas Spezifisches, in der besonderen Form nur der KIP zueigen oder ist sie etwas Allgemeines, Übertragbares und in jeden Kontext einfügbar? (Die Autoren schränken ein auf psychodynamische Therapien). Ist die katathyme Imagination ein Werkzeug oder ein Konzept, meldet sich nochmals der am Beginn stehende Leser zu Wort. Die Antwort: Beides.
Obwohl oder weil es Intention der Autoren war (die auch hervorragend gelang), ein Praxishandbuch zu schreiben, für das keinerlei Kenntnisse oder Voraussetzungen erwartet werden (Seite 3), würden dennoch einige grundsätzliche Aussagen zu den oben angeführten Fragen von Lesern ohne Vorkenntnisse orientierungserleichternd empfunden werden, die konzeptionell grundlegenden Reflexionen im Kapitel 7 sind schon sehr anspruchsvoll und komplex.
Abschließend ist der Autorin und dem Autor zu gratulieren! Sie haben eine so detaillierte und praktisch nachvollziehbare Anleitung zum therapeutischen Umgang mit Imaginationen geschaffen, dass nicht nur ein konkretes, ethisch und wissenschaftlich seriöses Bild der Imaginationsarbeit gezeichnet wird, sondern eine überzeugende Einladung erfolgt, dieses besonderes Tor zum tieferen Selbst-Verständnis zu durchschreiten! Für Ausbildungszwecke, aber auch als Sammlung von Handlungsleitlinien und "Kompass" für den therapeutischen Alltag ist das Lehrbuch sehr empfehlenswert!