Der Kobold im Kopf

Der Autor ist ein international bekannter Psychologe und Experte für Zwangskrankheiten, der ein Lehrbuch zum Thema Zwangskrankheiten herausgegeben hat und viele Forschungen auf diesem Sektor betreibt. (Diese Angaben kann man dem Vorwort entnehmen. ...

Buchtitel: Der Kobold im Kopf
Autorinnen: Baer L
Verlag: Bern:Huber
Erschienen: 2011

... Es wäre praktisch, sie in konzentrierter Form im Klappentext vorzufinden. Schließlich wollen insbesondere zwängliche Menschen gerne wissen, wem sie sich anvertrauen).

Lee Baer schafft es, fachliche Information in einem flüssigen und spannenden Stil zu vermitteln, der den Leser überall mitnimmt. Dazu kommen Fallbeispiele, übersichtliche Checklisten und klärende Fragen und Empfehlungen, illustrative Beispiele aus der Belletristik.

Das Buch hat zwei Teile. Der erste Teil befasst sich mit der Frage: Was sind negative Gedanken und woher kommen sie? Baer findet die eindringlichste Beschreibung bei Edgar Allen Poe, der ein Urprinzip, einen elementaren Trieb des menschlichen Handelns in der sog. „Perversheit“ sieht. Damit meint er, dass der Mensch sich getrieben fühlt, das Gegenteil vom Richtigen und Rechten zu tun und gegen die eigene Einsicht zu handeln Mit dem Dichter spricht der Autor in der Folge auch von einem Kobold oder Dämon im Kopf. (Es ist nicht ersichtlich, ob diese Zweiteilung ein Produkt der Übersetzung darstellt oder im Original vorhanden ist. „Imp oft he mind“ lautet der Originaltitel und spricht somit von einem Kobold, Wichtelmännchen oder Teufelchen, worin schon eine Portion Humor verpackt ist. Ganz anders der Bedeutungshof von „Dämon“). Derartige Personifizierungen sind nicht selten. Z.B. hat das Institut für Systemische Therapie Wien eine Personifikation vorgenommen: "Ana Ex" ist die personifizierte Anorexie. Das Autorenteam bezieht sich auf den japanischen Psychiater Yasunaga Komori, der mit der Figur des "Mr.Shizo" die externalisierte und personifizierte Schizophrenie geschaffen und erfolgreich eingesetzt hat. "Kopfbewohner" nennt Mary McClure Goulding die destruktiven inneren Stimmen, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen.

Zwar weist das von Baer an den Anfang gestellte Zitat von Edgar Allan Poe darauf hin, dass der Dämon, der sich im Inneren aufbaut, nur ein schrecklicher Gedanke ist, aber es bleibt dennoch die Frage, inwieweit eine Störungs-Personifizierung bei Zwangskranken angebracht ist. Ob damit nicht die erlittene Ich-Dystonie zur externalisierenden "Besessenheit" wird. Baer hat hier aber einen Sicherheitsriegel eingebaut. Einerseits weist er auf Warnsignale hin (Seite 58f), es handelt sich dabei um Merkmale der Patienten, die eine psychiatrische Behandlung rechtfertigen: Etwa massive Hassgefühle oder auch durchschimmernde „Freude“ an Gewalt. (Hingegen weisen Personen, die eher nicht Impuls durchbrüchig sind, massive Besorgnis und Schuldgefühle auf). Er wendet sich außerdem (Seite 64ff und Seite 158f) an den Leser mit Fragen, die psychotische Realitätsverkennungen bzw. Auffälligkeiten im Erleben und Verhalten erkennen lassen und sofort mit dem Hinweis versehen werden, eine fachliche Hilfe aufzusuchen. So ist also davon auszugehen, dass die adressierte Leserschaft weiß, dass es sich beim beschriebenen „Dämon der Infamie“ um eine plastische Formulierung für den Drang handelt, nicht aber um eine negative Macht, die einem auf den Schultern sitzt. Wie der Autor selbst anmerkt: glaubte man im 16.Jahrhundert noch im wortwörtlichen Sinn an den Teufel und Besessenheit bei negativen Gedanken (Seite 25) .Um diese Externalisierung zu verstehen, muss man wissen, dass viele Menschen mit negativen Gedanken sexuellen, aggressiven oder gotteslästerlichen Gedanken dazu neigen, anzunehmen, in ihrem Inneren warte ein Mister Hyde auf seine Chance (Seite 33). Deshalb müssen die Gedanken so massiv unterdrückt werden. Das Buch bekundet an dieser und anderen Stellen Wertschätzung und Toleranz. Der Patient wird entlastet mit dem Hinweis, dass diese negativen Gedanken bei vielen Menschen auftreten. Ein Literaturbeispiel zeigt, wie verbreitet und intensiv die Auseinandersetzung mit dieser inneren Ambivalenz sein kann und verstärkt die respektvolle Haltung gegenüber dem mit negativen Gedanken besetzten Menschen: So räsoniert z.B. Dr. Jekyll, die Figur aus Louis Stevensons Erzählung, über das Doppelwesen des Menschen und wie einfach es wäre, das Gute einer Person und das Böse einer anderen Person einzupflanzen, sodass jeder der beiden homogen sein Leben führen könnte ohne Zweifel und Gewissensbisse.

In den beiden Abschlusskapiteln des Teils I bringt Baer wichtige Einsichten: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass nicht irgendwann die Impulse sich durchsetzen und Realität werden. Aber es gibt Wahrscheinlichkeiten auf die man hinweisen kann, Die bei allen Menschen auftauchenden negativen Gedanken werden außerdem nur im Zusammenhang mit Depression, Posttraumatischer Belastungsstörung, Tourette-Syndrom bzw. mit Zwangsstörungen übermächtig.

Grundsätzlich sieht Baer in einer Mischung von Naturalismus und Psychologie das Auftreten durch Evolutionsvorteile begründet: Aggression, Gewalt, sexuelle Aktivität sichern dem Täter die Weitergabe seiner Gene. Von Zwangsgedanken geplagte Menschen neigen außerdem zu besonders intensiver Selbstkontrolle und Beobachtung (z.B. Mütter gegenüber ihren Kindern). Und schließlich meint der Autor wieder in einer Mischung von naturalistischen und psychologischen Ansichten, die von Freud beschriebene Spannung zwischen Kultur und Natur, zwischen sozialen und biologischen Forderungen trage zum Entstehen von negativen Gedanken bei. Baer meint abschließend, dass Menschen zu Sorgen über negative Gedanken neigen, weil sie meinen, negative Gedanken und Impulse gehören nicht zum Menschsein und weil sie ihrem orbitofrontalen Cortex zu wenig Kontrolle zutrauen. Teil 2 des Buches wendet sich der Behandlung negativer Gedanken zu. Beschrieben werden die Möglichkeiten der Expositionstherapie (wobei dieser Rückgriff auf die Verhaltenstherapie in einer Mischung aus systematischer Desensibilisierung und in vivo- Konfrontation erfolgt), weiters der Kognitiven Therapie (die –ebenfalls aus der Verhaltenstherapie kommend- sich insbesondere der kritischen Durcharbeitung der negativen Inhalte, Meinungen, „Überzeugungen“, Denkfehler widmet); sowie die Möglichkeiten der medikamentösen Hilfe bei negativen Gedanken (vor allem Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, die eine Verbesserung der „Kommunikation „ zwischen den Nervenzellen bewirkt). Ein eigenes Kapitel widmet sich der komplexen Problematik von Menschen mit blasphemischen Gedanken.

Das Buch bringt auf seinen rund 180 Seiten eine Fülle von Anregungen und Ermutigungen für die Bewältigung negativer Gedanken. Es ist spannend geschrieben, achtet darauf, die Leserschaft zu informieren, ohne es mit Fachterminologie oder theoretischen Ausführungen zu überfrachten. „Die Zähmung der der Zwangsgedanken“ – wie der Untertitel der deutschen Ausgabe es formuliert- wird geleistet oder zumindest vorbereitet. Lesenswert!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
18.03.2011
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/detail/der-kobold-im-kopf.html
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