Liebe Kollegin, danke für deine Kritik!

Du wirst dich vielleicht gar nicht mehr erinnern: Du hast während des Schuljahres eine Klasse übernommen und mit dieser Klasse einen sehr schwierigen Schüler und mich als Betreuungslehrerin.

Ich war unsicher, ob du mit mir überhaupt zusammenarbeiten wolltest und habe auch Distanz gespürt. Recht vorsichtig habe ich dich immer wieder gefragt, was du dir von mir im Rahmen der Betreuung wünschst. Es war keine erfolgreiche Betreuung. Die Schwierigkeiten rund um den auffälligen Burschen haben sich nicht gelegt. Wir haben keinen guten Weg miteinander und auch kein richtiges Vertrauen zueinander gefunden. Am Ende dieses Schuljahres habe ich einen Feedback-Bogen an die Direktor/innen ausgeteilt, mit der Bitte, ihn allen Lehrer/innen, mit denen ich zusammen gearbeitet habe, weiterzuleiten. Deine Rückmeldung war mir besonders wichtig. Du hast sie mir gegeben: In allen Bereichen hast du mir den schlechtesten Wert gegeben: die Betreuungsarbeit habe weder dir geholfen, noch der Situation in der Klasse oder mit dem Schüler verbessert – nur ein bisschen Freundlichkeit hast du mir zugestanden. Und dann waren da noch drei offene Fragen. Eine davon war, welche Verhaltensweisen die Betreuungslehrerin öfter / stärker / deutlicher zeigen sollte. Da hast du geschrieben:

Dass SIE die Fachkraft ist, und nicht ich als Lehrerin gefragt werde, was sie mit dem Kind machen soll.

Du hast auch noch das Gespräch mit mir gesucht, und durch deine Kritik ist mir klar geworden: Du warst durch diese schwierige Situation sehr verunsichert und hättest dir mehr Entschiedenheit von mir gewünscht. Weil ich die Fachkraft bin.
Ich habe im Rahmen dieser Feedback-Bögen viele gute, liebe Rückmeldungen bekommen, aber kein Satz hat so eine Bedeutung gehabt (und hat sie bis heute), wie deiner. Er hat mich und meine Einstellung zur Betreuungsarbeit geprägt und ich habe gelernt, meine Rolle als Fachkraft in schulischen Problemsituationen viel klarer und selbstbewusster einzunehmen.
Situationen, die von Unsicherheiten der Kinder, der Eltern, der Lehrer/innen geprägt sind, brauchen Sicherheit und Mut, Dinge klar anzusprechen und vorzuschlagen. Freilich gibt es keine Rezepte, und oft müssen wir Strategien ausprobieren, um sie dann wieder zu verändern. Aber ich habe Ideen, und wenn ich diese klar einbringe, werden wir gemeinsam Wege finden.
Liebe Kollegin, deine ehrliche Kritik mir gegenüber war mutig. Ich habe sie gut annehmen können und sie war für mich ein ganz wichtiger Impuls, um besser mit mir und zu meiner Kompetenz zu stehen. Ich danke dir dafür. Ich bin die Fachkraft, tatsächlich.

    


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