Schulpflichtverletzung
"Die beste Zeit ein Problem anzupacken, ist die Zeit vor seiner Entstehung" R. Freimann
"Schulpflichtverletzung"
Mit diesem Schlagwort wird versucht ein Problem zu formulieren, das es gibt. Bloß: diese Art der Formulierung verhindert bereits die Lösung.
Bei Verletzungen müssen die, die verletzt wurden, behandelt und die, die verletzten, bestraft werden. Wer wurde verletzt? Die Schulpflicht – aber die ist nach wie vor vollständig und besteht ungeschmälert (= unverletzt) weiter. Wer soll bestraft werden? Die betreffenden SchülerInnen und deren Eltern. Wofür? Weil SchülerInnen, die in die Schule hätten gehen sollen, lieber zu Hause blieben oder zwar von zu Hause weggingen, jedoch nicht in der Schule eintrafen.
Die Lösung eines Problems beginnt mit dessen Formulierung: Hier einige Vorschläge, die das Wort "Schulpflichtverletzung" ersetzen sollten, weil sie zutreffender sind und Anregungen zu Lösungen aufzeigen:
z.B: "Unterrichtsflüchtlinge" – dieses Wort würde schon zweierlei richtiger treffen: 1. dass womöglich die Art und Demotivation durch das schulische Unterrichtsgeschehen für Fluchtneigungen auf SchülerInnenseite sorgt oder 2. dass die SchülerInnen, die fernbleiben, subjektiv in Verhältnissen stecken, wo schulische Bildung als vernachlässigbare Nebensache erscheint. Dann brauchen sie und ihre Eltern jedoch Hilfe und nicht Bestrafung.
z.B: "Selbstwertverletzung" – diese Formulierung würde die beachtenswerten individuellen Aspekte des Problems ins Zentrum der Lösungsbemühungen rücken und zugleich die Offenheit bewahren, dass die Verletzungen auch im System Schule erfolgt sein könnten und das Problem nicht bloß die Eltern "haben", sondern auch die Schule.
Schulisches Lernen trägt die Hauptlast, die jeweils nächste Generation zur Regelung des Gemeinwohls und friedlichen Zusammenlebens der Zukunft zu befähigen. Die falsche, weil unzutreffende, Formulierung von auftauchenden Problemen erschwert es, diese Verantwortung wahrzunehmen und reduziert auf juristisch eingeengte Verfahrensprozeduren. Das – so nehme ich an – ist nicht wirklich das, was Eltern und LehrerInnen wollen, dass Kinder lernen.
"Die Dinge sind nie so, wie sie sind. Sie sind immer das, was man aus ihnen macht" Jean Anouilh
Dieser Beitrag wurde von MMag. Andreas Girzikovsky, Leiter der Schulpsychologie Oberösterreich, zusammengestellt.