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Die Zeiten, in denen uns am Arbeitsamt triste Bürolabyrinthe und
quietschende Rollbalken erwarteten, sind vorbei. Die 95
regionalen Geschäftsstellen und 50 Berufsinformationszentren des
AMS sind heute moderne Dienstleistungsbetriebe. Die meisten sind
in einem hellen offenen Ambiente untergebracht und alle arbeiten
vollcomputerisiert.
Diese Verbesserungen erleichtern nicht nur das Leben der 261.000
Arbeitslosen in Österreich (Stand März '98), sondern kommen
auch jenen 4.200 Beschäftigten, die österreichweit im Dienste
des AMS stehen, zugute. Wir besuchen die 47 MitarbeiterInnen der
regionalen Geschäftsstelle Bau-Holz in Wien-Donaustadt. Die
Baubranche ist ja charakteristisch für den mühsamen Alltag, der
AMS-Beschäftigten.
Das Verhältnis zwischen Arbeitsuchenden und Stellenangeboten ist
hier 1:10. Im vergangenen Jahr standen allein im AMS
Wien-Donau-stadt 6.000 vorgemerkten Arbeitslosen nur 600 freie
Stellen zur Verfügung. Das Hire-and-Fire-Prinzip ist am Bau
schon fast selbstverständlich geworden. Immer größer wird der
Anteil jener Sub- und Leihunternehmer, die Arbeitskräfte nur
für die Dauer eines bestimmten Projekts beschäftigen. Oder die
selbst auf- und bald wieder zusperren und jene auf der Strecke
lassen, die samt ihren Familien ihre Hoffnungen auf die Firma
gesetzt hatten. Bei der Vermittlung an solche fragwürdigen
Unternehmen ist man im AMS vorsichtig und bemüht, die Spreu vom
Weizen zu trennen. Oberstes Prinzip ist die Erhaltung von
Arbeitsplätzen und das Verhindern immer drastischerer
Schlankheitskuren innerhalb der Betriebe, die nur noch bei Bedarf
mit Hilfe von Leiharbeitern "aufstocken".
Das AMS startete in den letzten Jahren einige sehr erfolgreiche
Projekte, in deren Rahmen aufgabenspezifische Qualifikationen
"vor Ort" gefördert wurden. Dieses zukunftsorientierte
Konzept manifestiert sich auch in zahlreichen Kursen,
Umschulungen und Jugendprojekten, die man unter dem Titel der
praktischen Arbeitsmarktorientierung zusammenfassen kann.
Wer zum ersten Mal ins AMS kommt, wird bei einer
der Anlaufstellen zu einem bestimmten Team eingeteilt und weitergeleitet |
Generell gilt nämlich in verstärktem Maß: Je höher und
vielseitiger die Qualifikation, desto besser die Jobchancen. Die
größte Problemgruppe bilden die Ungelernten, auf die
Unternehmer im wahrsten Sinn des Wortes "gerne"
verzichten, und deren Tätigkeiten auch immer häufiger
maschinell erledigt werden können. Kommt dann noch hinzu, daß
ein Arbeitsuchender über 45 ist, reduzieren sich seine Chancen
auf einen Wiedereinstieg auf ein düsteres Minimum.
Bekir Koc, 53 Jahre alt, ist ein typischer Repräsentant jener
Gruppe, die Woche für Woche und Monat für Monat mit dem Hinweis
"vielleicht haben wir in 14 Tagen etwas für sie"
vertröstet werden muß. Er ist seit fast einem Jahr arbeitslos
und sucht eine Stelle als Bauhelfer. Die weißen Haare seien das
Problem, sagt er resignierend. Dabei hat er eine große Familie
und durchaus noch die nötige Kraft für schwere Arbeit. In den
zehn Minuten, die das Gespräch mit "seiner" Betreuerin
Anita Hirmann dauert, sagt Herr Koc gezählte zwölfmal ein
flehendes "Bitte".
Weiße Haare hinderlich
Hirmann, zuständig für Arbeitslose ab 45 Jahre: "Man hat
das Gefühl, daß gerade solche Menschen ihre ganze Hoffnung an
uns persönlich hängen. Wenn man sie länger kennt, steht oft
das Gespräch im Vordergrund. Das Vorurteil, daß sich die Leute
nur ihren Stempel abholen kommen, trifft wirklich nicht die
Realität. Und es ist auch nicht so, daß das alles von uns
abprallt, man nimmt manche Schicksale mit nach Hause."
Auch das beste Service und das größte persönliche Engagement
können das Unmögliche nicht möglich machen. Tagtäglich sind
die Beschäftigten des AMS damit konfrontiert, daß
Arbeitslosigkeit zum wirtschaftlichen, sozialen, psychischen und
physischen Ruin führen kann. Und daß man auch beim besten
Willen immer nur einem Teil der Betroffenen zu einer neuen Chance
verhelfen kann.
Um im Rahmen der Gegebenheiten möglichst effizient arbeiten zu
können, hat sich das AMS zu einem modernen, flexiblen und auf
mehreren Ebenen aktiven Dienstleistungsbetrieb entwickelt. Es
agiert heute als eine Art Drehscheibe und so Franz Houska
"als Mittler zwischen Arbeitgeber und Arbeitsuchenden. Dabei
darf der soziale Gedanke nie vergessen werden, denn der
Schwächste ist zweifellos der Arbeitslose."
Gute Resultate mit Jobbörsen
Erfolgreich sei man aber nur gemeinsam und unter der
Voraussetzung, daß möglichst viele Hürden schon im Vorfeld
beseitigt werden. Besonders gute Erfahrungen in dieser Hinsicht
haben die sogenannten "Jobbörsen" gebracht, eine
Neuerung innerhalb des AMS, die sich innerhalb kürzester Zeit
etabliert hat. Bei diesen Jobbörsen werden zuerst intensive
Vorgespräche mit beiden Seiten geführt. Bei der
"Endauswahl" kann die Arbeitgeberseite davon ausgehen,
die richtigen Kandidaten gegenüber zu haben.
Die Arbeitsuchenden werden andererseits so vorinformiert, daß
sie in der Lage sind, sich ihren tatsächlichen Fähigkeiten
entsprechend zu präsentieren. "Auf diese Art werden die
Fälle besser nachvollziehbar", sagt Franz Houska.
"Früher haben wir uns mit einem kurzen Hinweis begnügen
müssen, daß die Qualifikation eines Arbeitsuchenden nicht
entsprechen würde. Dabei war die Ablehnung oft nur ein reines
Kommunikationsproblem." Ein weiterer Vorteil besteht darin,
daß nach der Vorauswahl dem Arbeitgeber gleich gezielt bestimmte
Förderungen angeboten werden können. Auch dadurch lassen sich
leere Kilometer vermeiden. Vor allem für jene Betriebe, die
Arbeitnehmer suchen, sieht die Bilanz immer besser aus: Im
Vorjahr konnten fast 76 Prozent der gemeldeten offenen Stellen
innerhalb von vier Wochen besetzt werden.
Auf den Gängen warten Computer darauf, über
Umschulungsmaßnahmen und Berufe mit Zukunft zu informieren |
Die Arbeitsziele des AMS sehen für heuer sogar eine noch
raschere Abwicklung und Vermittlung vor. Intensive und vor allem
individuelle Betreuung jedes einzelnen ist dafür eine wichtige
Voraussetzung, aber auch eine große Aufgabe für die im
AMS-Beschäftigten. An einem durchschnittlichen Arbeitstag
gleicht die Eingangshalle einem Ameisenhaufen, und es ist nicht
immer ganz leicht, das Chaos der Hereindrängenden in geordnete
Warteschlangen umzuwandeln.
Friederike Kubalek sitzt an einem der Schalter, die als erste
Anlaufstelle dienen, und teilt ihre "Klienten" den
jeweils zuständigen Teams zu. Zu ihr kommen praktisch alle, die
länger als 62 Tage kein Arbeitslosengeld bezogen haben. Dazu
gehören neben jenen, die Krankenstände hinter sich haben, auch
Haftentlassene, Ausländer, die sich informieren wollen, oder
Drogensüchtige, die wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert
werden sollen. Auf die Frage, ob der tägliche Tumult nicht
nervenzermürbend sei, sagt Frau Kubalek: "Mein Traum war
eigentlich ein Sozialberuf, und hier habe ich die Möglichkeit,
in dieser Richtung zu arbeiten. Natürlich ist es so, daß einem
manche Schicksale nahegehen, vor allem wenn man die Leute mit der
Zeit näher kennenlernt. Aber ich habe wenigstens das Gefühl,
etwas Sinnvolles zu tun."
Erfolge machen zufrieden
Die AMS-Mitarbeiterin verzeichnet aber auch große
Erfolgserlebnisse: "Wir arbeiten mit Institutionen wie
Drogenberatung, Bewährungshilfe oder Wohnungsvermittlungen
zusammen. Wenn es gelingt, jemandem soweit zu helfen, daß er
wieder Fuß fassen kann, hat man eine große persönliche
Befriedigung."
Daß trotz persönlichem Engagements auch in Zukunft viel zu
viele auf der Strecke bleiben werden, steht außer Frage. Nicht
nur im Baugewerbe hat die Wirtschaftsflaute Löcher gerissen, die
nur langfristige Beschäftigungs- und Investitionsmaßnahmen
schließen können. Auch die Angleichung der Löhne und der
sozialen Standards innerhalb der EU, eine der wesentlichen
Forderungen des ÖGB, sind Voraussetzung für eine Verbesserung
der Arbeitsplatzsituation.
Denn solange immer mehr und immer billigere Arbeitskräfte zur
Verfügung stehen, kann es keine faire Konkurrenzsituation geben.
Und die Möglichkeiten der Unternehmer, Menschen nur noch nach
dem Kriterium der wirtschaftlichen Effektivität zu beurteilen,
werden immer besser.
Sybille Weginger
Quelle: Solidarität - Die Illustrierte des ÖGB, Mai 1998