Karrierenachteile durch frühe Wahl der Schulform?
Seit Jahrzehnten ist die angebliche Selektionswirkung des gegliederten Schulsystems Teil der Bildungsdebatte in Österreich. Eine aktuelle Studie setzte sich mit dieser Annahme auseinander und untersuchte die Langzeitwirkungen der frühen Schulwahl.
Kinder nach vier Jahren Volksschule in verschiedenen Schulformen zu unterrichten, zerstöre die Lebenschancen jener Kinder, die eine Schulform gewählt haben, die nicht zur Matura führe. Vor allem die OECD mit ihren PISA Studien verweist immer wieder auf die angeblich so verheerende Undurchlässigkeit des traditionellen Schulsystems.
Hauptschule oder Gymnasium? Nicht so wichtig!
Nun belegt eine Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit in Bonn, dass das mehrgliedrige Schulsystem keineswegs die beruflichen Chancen derer einschränkt, die nach der Volksschule nicht auf das Gymnasium wechselten. Genauer gesagt bedeutet dies, dass für Schüler, deren Begabungen im Grenzbereich der Anforderungen von Realschule und Gymnasium liegen, hat die Wahl der Schulform langfristig keine Auswirkungen auf Beschäftigung, Lohnniveau und Bildungsstand.
Somit widerspricht die Studie der deutschen Wirtschaftsprofessoren Christian Dustmann, Patrick Puhani und Uta Schönberg der verbreiteten Kritik, dass ein mehrgliedriges Schulsystem die Schüler zu früh auf unterschiedliche Schulformen verteile und dadurch die Bildungschancen insbesondere von "Spätzündern" einschränke.
Langfristig keine Unterschiede zu verzeichnen
Die Analyse basierte auf umfangreichen Zensus- und Sozialversicherungsdaten der Geburtsjahrgänge 1961-1976 und konzentriert sich auf den Werdegang von Realschülern und Gymnasiasten, die von den Voraussetzungen her an der Schwelle zwischen beiden Schulformen lagen. Langfristig fanden die Autoren zwischen diesen Schülergruppen keine Unterschiede bei den durchschnittlich erreichten Bildungsabschlüssen, der Beschäftigungsquote und dem erzielten Erwerbseinkommen.
Hohe Durchlässigkeit des Schulsystems
Als Grund für diesen überraschenden Befund nennen die Wissenschaftler die im internationalen Vergleich hohe Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems. So können Realschüler, deren Leistungspotenzial zum Zeitpunkt der Schulwahl unterschätzt wurde, beispielsweise nach der neunten Klasse aufs Gymnasium wechseln – und umgekehrt. „Diese Möglichkeit des späteren Schulformwechsels ist ein entscheidender Aspekt des deutschen Schulsystems, der in vielen Studien übersehen wird. Unsere Ergebnisse zeigen, dass davon auch Gebrauch gemacht wird. Die Sorge vieler Eltern, die Zukunft ihres Kindes hänge an der Entscheidung Gymnasium oder Realschule, ist also unbegründet“, sagt Christian Dustmann, Ökonom am University College London.
Trotzdem: Gymnasiasten haben bessere Jobaussichten
Es sei zwar unbestritten, dass Gymnasiasten im Schnitt die besseren Jobaussichten haben, jedoch seien leistungsstarke Real- oder Hauptschüler keinesfalls am Aufstieg gehindert. „Die Stärke des mehrgliedrigen Schulsystems ist, dass es die Anpassung der Lerninhalte an unterschiedliche Begabungen erlaubt. Statt am System zu rütteln, erscheint es sinnvoller, die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen noch weiter zu steigern und den Aufstieg zu erleichtern“, fordert Mitautor Patrick Puhani, Wirtschaftsprofessor an der Leibniz Universität Hannover.
Gesamtschule - ja oder nein?
Diese Ergebnisse sind auch für die österreichische Bildungsdebatte relevant, wenn es um die Frage geht: Gesamtschule ja oder nein?
Die Studie zum Nachlesen finden Sie HIER (englisch)