Lehrbuch Klinische Paar- und Familienpsychologie
Das Buch kann allen empfohlen werden, die sich mit den intimeren Settings des Zusammenlebens beruflich oder interessensmäßig auseinander setzen! Die Lektüre ist ein Gewinn!
Buchtitel: Lehrbuch Klinische Paar- und Familienpsychologie
AutorInnen: Bodenmann G
Verlag: Bern: Hans Huber, Hogrefe.
Erschienen: 2013
Zum Inhalt
Der Cover-Text weist den Autor als führenden Experten in der Klinischen Paar- und Familienpsychologie aus, der an der Universität Zürich lehrt und forscht. Tatsächlich bietet das Buch eine Fülle von empirischen Befunden zum Thema. Nach einführenden Hinweisen darauf, dass das Modell Ehe bzw. Familie nach wie vor sich hoher Attraktivität erfreut und die Diversität kein grundsätzlich neues Phänomen darstellt, - es gab immer schon Klein-oder Nuklearfamilien, Großfamilien, Patchwork-Familie, Ein-Eltern-Familien, Singles. (Seite 16) - setzt sich das Kapitel 2 mit der klinisch-psychologischen Bedeutung von Partnerschaft und Ehe auseinander. So z.B. mit der generell abnehmenden Beziehungszufriedenheit im Laufe der Jahre, wobei es individuelle Unterschiede bei den anfänglichen Werten und den Werten nach etlichen Jahren gibt (Seite 26). Die Variation der Ausprägungsstärke von Intimität, Leidenschaft und Verbindlichkeit ergibt unterschiedliche Liebesstile: romantische, besitzergreifende, pragmatische, kameradschaftliche, altruistische (Seite 30).
Kapitel 3 befasst sich mit psychischen Störungen und Partnerschaft, so z.B. mit günstigem Partnerverhalten (wie etwa Förderung der Selbständigkeit des Partners, Fokussierung persönlicher Erfolgserlebnisse des Partners, besonnene Reaktion auf Symptome des Partners, Zusammenhalt) bzw. mit ungünstigem Partnerverhalten (wie kritisches, bestrafendes, überprotektives, kontrollierendes, ausweichendes oder ablenkendes Verhalten) (Seite 46f). Interessant ist das Konzept der we-disease, das zum Ausdruck bringt, dass sich der Stress des einen Partners systemisch auch auf den anderen auswirkt. (Seite 48).
Kapitel 4 beschreibt psychische Störungen bei Kindern und die Rolle der Familie. Seite 82 ff bringt eine groß angelegte Tabelle zum Vergleich der früheren und heutigen Familienfunktionen. Z.B. sind die früher wichtigen Verbindungen von Familie und Reproduktion, Produktion, Sexualitätsregulation, Erziehungsfunktion etc. heute weitgehend entkoppelt. Kohäsion (emotionale Bindungen zwischen Familienmitgliedern) und Adaptabilität (die situativ flexible Assimilations- und Akkommodationsfähigkeit der Familie) sind wichtige Dimensionen des Familienfunktionsniveaus (Seite 85f). Auf Seite 96 bringt der Autor wichtige Hinweise auf die schädlichen Folgen der Parentifizierung (Rollentausch zwischen Kind und Elternteil) wie z.B. Überforderung, Vernachlässigung eigener Bedürfnisse. Ein Überblick über die Bindungsstile darf nicht fehlen (Seite 106), bei dem die sichere Bindung den kranken Formen von unsichere, vermeidenden, distanzierten, ambivalenten, desorganisierten, desorientierten, traumatisierten Bindungen gegenüber gestellt werden, bei denen allesamt die Konstanz und Sensitivität der Bindungsperson fehlt. Nicht-sensitive Bezugspersonen verringern die Kontrollüberzeugung, die Selbstwirksamkeitserwartung und den Selbstwert und erhöhen die Vulnerabilität. (Seite 115). Seite 130f bringt eine tabellarische Übersicht über Erziehungsstile und ihre Auswirkungen auf die Kinder: autoritäre, punitive, permissive, lasser-faire, vernachlässigende Stile, aber auch autoritative, konstruktive, partizipative Stile. Verfeinert und ergänzt wird die Aussage durch die Tabelle auf Seite 143, in der positives und negatives Interaktionsverhalten gegenüber gestellt wird. Der vom Autor eingeführte Begriff des dyadischen Copings (Seite 146) betont die synergetische Nutzung von Coping-Ressourcen innerhalb eines Paares. Die Partner unterstützen einander mit ihren Möglichkeiten der Problembewältigung.
Kapitel 5 schildert eingehend die Folgen von Scheidungen. Auf Seite 1195 werden die inneren Prozesse und Gefühle vor, während und nach der Scheidung erfasst. Eine hohe Vulnerabilität schreibt der Autor dem Lebensalter zwischen 45 und 55 und den in dieser Phase meist gegebenen Umorientierungen zu (Seite 219).
Während Kapitel 6 die Gewalt in der Familie thematisiert, bringt Kapitel7 die Sprache auf die Familie als wichtiger Resilienzfaktor.
Kapitel 8 beschreibt Präventivansätze, z.B. das Triple P (im Text nicht näher erklärte Abkürzung bedeutet Positive Parenting Program). Dieses zielt insbesondere auf die Förderung von Ressourcen, dazu gehören neben wichtigen Informationen auch Erziehungsstrategien und Elternverhaltenstrainings.
Kapitel 9 skizziert Überlegungen in der Paartherapie, Kapitel 10 bringt einige Erkenntnisse zur Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen. Auf Seite 284 meint der Autor:" In der Paartherapie ist das Paar als Einheit der ´Patient´." Das ist prinzipiell richtig, allerdings gibt es Paare, bei denen die Partner auf ganz unterschiedlichen Entwicklungsniveaus stehen. Hier sind der Paartherapie Grenzen gesetzt - ein entsprechender Hinweis könnte ergänzt werden.
Während die Paartherapie in verschiedenen Ansätzen beschrieben wird (z.B. systemisch, lösungsorientiert, kognitiv etc.), dominiert bei der Kinder- und Jugendlichentherapie die Beschreibung des verhaltenstherapeutischen Ansatzes, der mit der Metapher eines Segeltörns veranschaulicht wird.
Es gibt einen Ausgangshafen und einen Zielhafen, das Boot ist die Methodik, die Fahrt selbst sind die Therapiesitzungen und der Fahrtwind symbolisiert die notwendige Motivation. (Seite 307).
Das Buch ist -wie die angeführten Beispiele aus dem Inhalt demonstrieren - eine ergiebige Quelle empirischer Befunde zum Thema "Klinische Paar- und Familienpsychologie". Tabellen, Merkfelder, Hervorhebungen "Wichtig", "Wichtiges in Kürze" gliedern den Stoff und beeindrucken durch Prägnanz und Verständlichkeit! Das Buch kann allen empfohlen werden, die sich mit den intimeren Settings des Zusammenlebens beruflich oder interessensmäßig auseinander setzen! Die Lektüre ist ein Gewinn!