Yoga und Embodiment. Stress und Schmerz bewältigen.
Der erste Teil Theorie (Umfang rund 120 Seiten) ist kompakt, gewissenhaft recherchiert, eine wertvolle Basis für verschiedenste berufliche und persönliche Anwendungen.
Teil 2 wird als Trainingsmanual bezeichnet und enthält Grundlagen für Yoga als Mind-Body-Disziplin
AutorInnen: Baender-Michalska E u Baender R
Verlag: Stuttgart: Schattauer
Erschienen: 2014
Zum Inhalt
Zunächst zum Aufbau des Buches: Teil I Theorie enthält verschiedene Erklärungsansätze für Stress (physiologisch, psychologisch, neurowissenschaftlich, soziologisch, salutogenetisch und schließlich die Perspektive des systemischen.Anforderungs-Ressourcen-Modells). Die beiden Autoren kommen aus verschiedenen Fachrichtungen ( die Autorin ist Diplom-Sportlehrerin und Heilpraktikerin für Psychotherapie, der Autor ist Diplom-Ökonom und Unternehmensberater), sie weisen vieljährige Meditationserfahrung auf. Die einzelnen Erklärungsansätze sind sorgfältig und differenziert dargestellt. Ein weiterer Abschnitt des 1.Teiles befasst sich mit Epidemiologie, hier z.B. mit zeittypischen Krankheitsbildern wie Burn out, Depression, Angststörungen, Anpassungsstörungen sowie mit Erklärungsansätzen für die Zunahme psychischer Erkrankungen wie höhere Entdeckungsrate psychischer Störungen, Wandel der Arbeitswelt etc. und den daraus erwachsenden sozioökonomischen Folgen. Ein 3.Abschnitt beschreibt die spezifischen Gesundheitsbelastungen in verschiedenen Berufsfeldern (Beratungsbranchen, Lehrergesundheit, Heil- und Pflegeberufe) und die neuroethischen Herausforderungen (neuroethisch ist der Begriff für ethische, anthropologische, soziokulturelle Forderungen, die sich aus den Erkenntnissen der Neurowissenschaften ergeben).
Dieser erste Teil (Umfang rund 120 Seiten) ist kompakt, gewissenhaft recherchiert, eine wertvolle Basis für verschiedenste berufliche und persönliche Anwendungen.
Teil 2 wird als Trainingsmanual bezeichnet und enthält Grundlagen für Yoga als Mind-Body-Disziplin (mit diesem Begriff wird das verstärkte Augenmerk auf das Zusammenwirken von Körper, Gehirn, Verhalten, Seele bezeichnet). Dieser Teil II enthält neben Anweisungen für Körperübungen, Atemübungen und Skizzierungen von verschiedenen Entspannungsverfahren vor allem Hinweise auf Yoga als Komplementärmethode, Gesundheitsbildungsangebot, weiter Gesundheitsförderung und Prävention, sowie Ausführungen zur Wirkung von Yoga und evaluativen Daten. Betreffend das Autogene Training wäre ergänzend hinzuweisen, dass dieses Entspannungsverfahren Bestandteil der Autogenen Psychotherapie geworden ist. Fachlich wäre auszuführen, dass die Entspannungs-Formulierung im Autogenen Training z.B.“ rechter Arm wird schwer“ nicht optimal ist, stattdessen wird die präsentische Form (Ziel wird bereits als erreicht vorgestellt) gewählt: „rechter Arm ist schwer“.
Dieser Teil 2 beschreibt hauptsächlich die Inhalte, es fehlen – und das verwirrt am Anfang – die für Trainingsmanuale üblichen methodisch-didaktischen Hinweise (organisatorischer Aufbau des Kurses, zeitlicher Rahmen, Portionierung des Lernstoffes, Zulassungsbedingungen, Kontraindikationen, Art der Zertifikate bzw. erworbene Berechtigungen, Anwendung und Verwertung des Erlernten, rechtlicher Rahmen, Fortbildungsmöglichkeiten etc. Bei näherem Blick sieht man aber: es werden etliche derartige Fragen beantwortet, es gibt kompakte Ausführungen z.B. zu den psychischen, physischen Wirkungen, aber dies könnte noch expliziter, konkreter, operativer auf den Kurs bezogen ausformuliert werden. Die Tabellen leisten wertvolle Unterstützung). Teil 2 ist ein Kompendium für die Praxis, mehr ein die wichtigen Inhalt abdeckendes Handbuch als eine Handanweisung (Manual), die als Leitfaden und Gebrauchsanleitung eine bestimmte Vorgangsweise vorschlägt. Vielleicht ist für eine meditative Schulung ein genauer Zeitplan auch nicht möglich - hierzu sollte eine kure Anmerkung der Autoren erfolgen. Insgesamt ist es aber eine dichte Information, die der Leser hier erhält.
Einzelne Fragen/ Anregungen :
Auf Seite 4 wird von einer durch Yoga erzielten verstärkten kognitiven Kontrolle über die Gesundheit gesprochen, eine „steile“ Behauptung, für die – wenn auch nur kurz- einige Belege theoretischer oder erfahrungsbezogener Art angeführt werden sollten. Auch die Ausführungen auf Seite 130ff enthalten Thesen (z.B. Der Körper ist eine fundamentale Ressource, eine Plattform der Gefühle, ein Spiegel der Seele –und diese ein Spiegel des Körpers (ebd.).
Auf Seite 131 wird ausgesagt: „Die Forschungen zum Thema Embodiment (Verkörperung) gehen von der Annahme einer komplexen reziproken Beziehung zwischen körperlichen, kognitiven und emotionalen Prozessen aus.“ Das Neue am Konzept des Embodiments wäre hier kurz anzuführen. Zwar bringen die Autoren im Kapitel 4.3 viel Wissenswertes zu ihrem zentralen Modellbegriff Embodiment. Dass der Mensch nicht nur einen Körper hat, sondern ein Körper ist (besser wäre hier die Bezeichnung "Leib") - diese Erkenntnis ist nicht neu, wie die Autoren meinen, sie ist z.B. zentraler Inhalt in der Initiatischen Therapie, in der Konzentrativen Bewegung; im Begriff des Körperselbst (-bildes), Körprschema wird seit jeher die Körperwahrnehmung angesprochen. Die ebenfalls als neu deklarierte Einbeziehung der Umwelt in die Dialektik von Geist und Körper, die sog. Trialektik, hat viele Vorläufer. Eigentlich muss sich jede Therapie um die Einflüsse und Auswirkungen des Systems kümmern (besonders plakativ der "ÖKO-Check" im NLP). Auch die Bezeichnung „Mind-Body-Medizin“ (Seite 143) wäre zu hinterfragen: Ist sie vorteilhaft gegenüber dem Begriff der „Psychosomatik, bzw. Psychosomatischen Medizin?“ Würde die Bezeichnung „Ganzheitsmedizin“ nicht eher Descartes und seine Trennung von Körper und Seele überwinden (die in „Mind-Body“ noch enthalten ist)? In der Aufzählung der Mind-Body-Methoden (ebd.) fehlt die Bioenergetik. – Absicht oder einfach aufgrund der demonstrativen Aufzählung?
Auf Seite 141 steht: “Die Yogatherapie hat den Anspruch, die ganze Person zu behandeln und nicht nur die Krankheit.“ - ist das nicht grundsätzliches Ziel der Psychotherapie? Das auf der Folgeseite betonte Gleichgewicht von Körper, Geist und Seele – erinnert uns das nicht an das Homöostase- Prinzip der Psychoanalyse? Worin besteht also das Neue, Spezifische der Yogatherapie beim Erreichen eines wohltuenden Balance- Zustandes, der die ganze Person betrifft?
Auf Seite 144ff wird der Einbau spiritueller Aspekte behauptet. Es wäre interessant zu erfahren, wie das geschieht, denn das biopsychosoziale Modell, auf das Bezug genommen wird, bietet wahrscheinlich keine expliziten Brückenköpfe zur Spiritualität an. Überhaupt ist die Frage, wann der Einbau von spirituellen Gedanken, Lehren des Yoga vorgesehen bzw. als notwendig erachtet wird. Oder ist das Auslangen mit den Körperübungen und Atemübungen zu finden? Sind diese neutral oder erfolgen sie mehr und mehr aus dem Geist des Yoga? Wenn ja, sollte hier mehr Transparenz bestehen. Auf Seite 126ff steht:" Das Yoga Sutram erklärt keine Körper- oder Atemübungen im Detail. Die Praxis von Asana dient letztlich nur dem eigentlichen Ziel, der Meditation, und soll den Körper für eine aufrechte Sitzhaltung vorbereiten." Auf Seite 127 findet sich die Aussage, dass im Yogasystem des Patanjali der Geist im Vordergrund steht, aber es "fokussiert der Hatha Yoga auf den Körper bzw. das körperliche Gleichgewicht. Beide zielen auf die Kontrolle der mentalen Prozesse, um den Geist zu einem Instrument des Erkennens der Wahrheit zu machen." Welche Wahrheit? Auf Seite 121 wird Yoga erklärt als Versenkungstechnik, als philosophische Weltbetrachtung, und als Art der Lebensführung - in welcher Weise akzentuiert das Trainingsmanual? Oder bleibt dies dem einzelnen Kursleiter überlassen?
Auf Seite 150 wird ausgeführt, dass die formalen Körperübungen die Präsenz und Wahrnehmung von Differenzen fördern und damit auch persönliche Muster und Schemata entdecken lassen – eine Aussage, die offensichtlich durch Erfahrungen gestützt wird (siehe z.B. die Tabelle: Alltagsrelevanz von Meditation, Seite 151), aber in diesem Größenverhältnis zwischen Körperübung und personaler Umstrukturierung zunächst nur eine sehr stützungsbedürftige These darstellt. Ein Hinweis darauf, dass es bei den Körperübungen um Meditation geht (s.o.) könnte das Prozessverständnis erleichtern.
Auf Seite 186 wird hingewiesen darauf, dass Yoga die Intuition, Kreativität, Lebenszufriedenheit, Sinnfindung, transpersonales Vertrauen fördert – ebenfalls sehr große Ziele, die neugierig machen darauf, wie das vor sich geht. Dasselbe gilt für die angeführten umfangreichen sozialen Effekte. Hier wären einige kurze Hinweise auf den Prozess wertvoll.
Wohltuend objektiv sind die methodenkritischen Bemerkungen im Kapitel „Evaluation“, wie z.B. das Fehlen von Wissen von manchen Yogalehrern betreffend psychische Zustände ( Seite 196) – es gibt eine kompakte Information im Buch (Seite 198 bis 198) zu Kontraindikationen, aber es könnten noch differenzierte Angaben erfolgen zu psychischen bzw. persönlichkeitsbedingten Kontraindikationen, die eine Kursteilnahme erschweren oder verhindern, aber auch im Laufe der Kursteilnahme auftreten können "Die Datenlage ..ist unzureichend", meinen die Autoren selbst auf Seite 196). Demgegenüber gibt es bei den Körperübungen vereinzelt Angaben zu körperbezogenen Kontraindikationen. Dafür werden aber manchmal bei den Körperübungen seelische Wirkungen behauptet, die nicht unmittelbar einsehbar sind, z.B. auf Seite 211 die Übung „Schiefe Ebene“ soll das Gefühl von Kraft fördern, die Übung „der Baum“ soll die Psyche stabilisieren. Diese interessanten Thesen wären zu belegen. Die selbstkritischen Bemerkungen zeigen insgesamt eine hohe Wachsamkeit gegenüber der Praxis und ein großes evaluatives Verständnis - beides vertrauensbildend.
Abgesehen von diesen Beispielen von möglichen Anmerkungen kann betont werden, dass das vorliegende Buch in seiner Kompaktheit und Differenziertheit sein gesetztes Ziel voll erreicht: Yoga bekannt zu machen, seine Bedeutung als körperorientierter Weg zu einer ganzheitlich verstandenen Heilung sichtbar und nachvollziehbar zu machen!