Endlich ausgebrannt! Die etwas andere Burnout-Prohylaxe.
...Bergner bringt eine spezifische Argumentation ein - nämlich die Präferenz für "endogene" Burnout-Erklärungen, über die man sicher diskutieren muss!
Autor: Berger T
Verlag: Stuttgart: Schattauer. Reihe Wissen und Leben
Erschienen: 2013
Zum Inhalt
Bergner T (2013): Endlich ausgebrannt! Die etwas andere Burnout-Prohylaxe. Reihe Wissen und Leben. Stuttgart: Schattauer.
Die vorliegende Besprechung ist eine aktualisierte Version einer im Erscheinungsjahr verfassten Rezension. Sie jetzt zu bringen scheint dem Rezensenten sinnvoll, weil die burnout- Problematik wieder stark diskutiert wird und Bergner eine spezifische Argumentation einbringt - nämlich seine "internale" Interpretation des Burnouts, über die man sicher diskutieren muss!
Bergner bezeichnet den seiner Meinung nach inflatorischen Umgang mit Burnout als "Unendliche Welten". Seine eigenwillige Beschreibung der Dekompensation als Zusammenbruch von Lügen und als selbstinitiierte Krise lässt offen, ob eine internale Kausalattribution vorliegt, oder ob nur der "Startschuss" vom Selbst kommt: "Wenn es genug Energie kostet, eine Lüge aufrechtzuerhalten, wird dies in einer Krise enden. Da die außerbewusste Instanz des Selbst es ist, welche den Energieabbau ´misst´, wird eine Krise aus dieser Instanz heraus initiiert" (Seite 6). Weiter konstatiert der Autor, dass Entflammtheit als echte Begeisterung nicht zu Burnout führe - eine durch Biografien begeisterter Forscher, Entdecker, Wissenschaftler nicht nachgewiesene Annahme, aber als personbezogene Begründung für eine krankheitsbedingte Karenz fatal: Man hat sich zu wenig identifiziert, zu wenig engagiert!
Seite 187 zählt auf, welche persönlichen Probleme jemand haben muss, der sich Abgrenzung des Privatlebens vom Beruf wünscht, oder Anerkennung von Seiten der Vorgesetzten oder der an Erschöpfung leidet. Seite 190 fasst nochmals zusammen: „Burnout als ursächlich berufsbedingt zu definieren, ist kollektiver Selbstbetrug, der beim Betroffenen immer dann klar wird, wenn er nach vielen vergeblichen, oberflächlichen Bemühungen feststellen muss, dass er professionelle Hilfe für seine Seele und nicht für seinen Schreibtisch oder Arbeitsplatz braucht“. Diese Entlastung ist den Arbeitgebern sicher willkommen. Nur ist sie die komplette Realität?
Sicher ist der vehemente Impuls des Autors, mit vielen Bildern, Fallbeispielen und Anregungen assoziativ auf die Selbstverursachung von Burnout durch ein Helfersyndrom, durch Unfähigkeit zum Delegieren, durch Schwächen beim Nein-Sagen u. v. a. m. hinzuweisen, eine wichtige Botschaft zur Selbstkorrektur und zur Vermeidung rascher Außenprojektion von Problemen! Aber der Blick nach Innen braucht Ergänzung.
Bergner verspricht sich eine Bodengewinnung für seine persönlichkeitsbezogene Sichtweise des Burnout wenn er auf Seite 125 ff vorschlägt, die vier Persönlichkeitstypen (eigentlich eher Neurosentypen) nach Riemann (hysterisch, zwanghaft, depressiv, schizoid) zu erweitern durch den gehemmten Typus und den sich minderwertig fühlenden Typus. Im fachlichen Diskurs stellen Hemmung (Harald Schultz-Hencke) und Minderwertigkeitsgefühle (Alfred Adler) allerdings Konzepte zur Neurosengenese dar. Zwei weitere Typen wären der narzisstische und der phobische Typus. Die Idee, wie Burnout sich bei den einzelnen Typen ergibt, ist sicher interessant.
"Ob Burnout nun vorrangig mit persönlichen Faktoren zusammenhängt oder ob es vorrangig ein Problem der Arbeitswelt und Arbeitsbedingungen ist, ist eigentlich gleich" (Seite 24). Dem System kommt also keine besondere Bedeutung zu, oder nur insofern, dass wirtschaftliche Nutznießung von Burnout beschworen wird bis hin zum Angebot einer Psychoanalyse gegen Burnout (eine Idee, die in der Fachwelt trotz der beabsichtigten Ironie Kopfschütteln hervor rufen würde). Die Arbeitsbedingungen sind nicht wesentlich für Bergner- Hygiene, Psychohygiene stellen aber wesentliche Bedingungen für Arbeitszufriedenheit dar.
Soweit die endogenen Argumente. Im Folgenden gibt er Hinweise, die sich als Zusammenwirken von "außen" und "innen" interpretieren lassen: Den Einfluss der Eltern und die Rollenproblematik sowie die Rebellion der Bürger.
Der Autor verspricht, dass der Leser seines Buches die Augen geöffnet bekommt für die Überbeanspruchung und Einengung, die zum Burnout führen. Im Kapitel „Mit-Gift“ geht es um die Einflüsse der Eltern (offensichtlich assoziiert Bergner das Verhältnis des Mitarbeiters zum Vorgesetzten mit der Eltern-Kind-Ebene), auf Seite 46f werden die Fehler von Müttern und Vätern aufgezählt wie z.B. dass nicht jeder Vater, jede Mutter über den Nachwuchs begeistert sind, und dass nicht jeder Vater väterlich, nicht jede Mutter mütterlich ist, eine Quelle für narzisstische Kränkung. Im 6.Kapitel umkreisen die Ausführungen das Helfersyndrom, das zur Selbstausbeutung führe.
Das folgenden Kapitel befasst sich mit Rollenproblemen, Burnout stellt sich ein, wenn eine passende Rolle nicht ausgeübt werden kann und eine nichtpassende ausgeübt werden muss. Dieses Kapitel ist schlüssig formuliert und wirkt überzeugend, auch ist die Idee, Burnout mit Rollenproblemen zu verknüpfen, eine ungewohnte und ergiebige Perspektive. Interessant wäre auch die Auseinandersetzung mit der Opferrolle (Seite 79 ff), wäre da nicht eine Verwechslung mit paranoiden Ideen. Die Opferrolle wächst nicht einem Menschen zu, der sich verfolgt fühlt, sondern einem im Gegenteil vertrauensvoll naiven Menschen, dessen Aggressionshemmung einladend auf andere wirkt.
"In diesem Sinn ist Burnout eine menschheitsgeschichtlich fortgeschrittene Form von ´Revolution´. Eine große Zahl von Bürgern sagt damit: So nicht! Auch deshalb kann man schreiben - endlich ausgebrannt." (Seite 32) - Dies ist eine in dieser Allgemeinheit unangreifbare Behauptung, nämlich, dass Burnout eine Art summarischer Auflehnung gegenüber „etwas“ ist. Aber interessanterweise weicht auch dieses Argument der Rebellion von der übrigen Argumentationslinie der Innenverursachung des Burnout ab.
Die Außenverursachung von Burnout sowie die Außendimension des Erlebens haben in Bergners internalen Begründungszusammenhang kaum Platz. Die Karikatur auf dem Cover wäre ein wichtiger Hinweis: Zu sehen ist ein Esel, der durch einen übervollen, zu schweren Karren, der hinten abkippt, mit den Zugstangen in die Höhe gehoben wird und jämmerlich nach Luft schnappt. Es ist ein realer Karren gezeichnet, nicht eine Gedankenblase, in der sich der Karren ideell befindet...Der Druck von außen sollte nicht außer Acht gelassen werden. Eine Parallele ergibt sich aus der Geschichte der Psychoanalyse, wo die einseitige intrapsychische Konfliktorientierung bei der Pathogenese zugunsten der Traumatheorie (also einer Schädigung von außen) relativiert wurde, womit der Heilung weitere Wege offen standen.
Bergners "internale" Interpretation des Burnout ist eine wichtige Ergänzung der vorhandenen Perspektiven. Wichtig, sofern die Innenverursachung als Komponente gesehen wird und nicht ein ausschließliches "Selbst schuld!" als bestimmender Appell überbleibt. Die Innenzuwendung ermöglicht eine andere Art der Burnout-Prophylaxe - sie ist eine notwendige Dimension, denn bei problematischen "Innenbedingungen" hilft auch ein Job-Wechsel nichts, weil man sich ja überall mitnimmt! Auf der anderen Seite sollte man die Arbeitsbedingungen, das Außen, den Kontext, das System ernstnehmen, ein Arbeitsklima mit nicht durch Menge, Tempo, Monotonie oder Stress überfordernden Aufgabenstellungen schaffen, in dem der Einzelne sich entfalten kann - und gesund bleibt!