Instinkt. Das Tier in uns.

Das Buch kann als Beispiel für eine eingehende, (neuro-)biologische Befunde berücksichtigende Praxisreflexion gelten verbunden mit dem Mut, persönliche Gedanken und Stellungnahmen hinzuzufügen.

Buchtitel: Instinkt. Das Tier in uns.
Reihe: Wissen und Leben
AutorInnen: Schmitz M
Verlag: Schattauer
Erschienen: 2014

Zum Inhalt

Die Reihe "Wissen und Leben" strebt, so der Herausgeber, die unterhaltsame Präsentation anspruchsvoller Themen durch meist renommierte Autoren an. Die Autorin ist Tierärztin in eigener Kleintierpraxis und aufgrund eigener Beobachtungen zu dem Urteil gelangt, dass Tiere "sehr viel häufiger glücklich wirken als wir Menschen" (Seite V). Die Erklärung dafür sieht die Autorin einerseits in der stressenden Verstandestätigkeit und dem Wunsch nach Kontrolle der situativen Gegebenheiten. Andererseits in dem unnötigen Verweilen in negativen Gefühlszuständen. " Das Tier Mensch hat es sich dagegen offenbar zur Angewohnheit gemacht, sich in Negativem zu suhlen." Hier wird nach Meinung des Rezensenten eine etwas einseitige Behauptung aufgestellt. Der Negativismus kennzeichnet nicht alle Menschen, sondern nur jene, die - wie die entsprechende Persönlichkeitstheorie aufweist - zum Katastrophieren neigen. Anders als diese "Sensibilisierer" gehen die "Abwehrer" mit Gefahren um: Sie ignorieren sie, solange es ihnen möglich ist.

Das Buch gleicht in gewisser Weise einem Geflecht aus drei Strängen: (Neuro-, Verhaltens-) Biologie, Analogsetzung zum menschlichen Verhalten, persönliche Assoziationen.

Z.B. das Kapitel "Angst". Geschildert wird das Gefahrenverhalten von Rehkitzen "Rehkitze geben bei Gefahr keinen Ton von sich und halten sich regungslos in Deckung" (Seite 30). Diese Regungslosigkeit ist wichtig, wenn Angriff oder Flucht nachteilig wären. Hilfreich beim schnellen Reagieren ist die Ausschüttung von Stresshormonen. Auch bei Menschen sind Hormone förderlich für rasches Reagieren. Emotionen helfen dem Menschen bei der richtigen Verhaltensentscheidung. Soziale Zurückweisung kann das Schmerzzentrum aktivieren, wie Untersuchungen mit Kernspintomographen belegen (Seite 34) und zu Angst führen. Das bringt die Autorin zu dem Gedanken:" Wer  aus Angst vor Ausgrenzung nur mit dem Strom schwimmt, verpasst die Chance, seine eigenen Stärken und Talente zu entdecken." 

Manche Kapitel laden mehr zu persönlichen Assoziationen ein als andere: Z.B. sind die Kapitel Instinkt, Angst, Aggression, Sucht Themen gewidmet, bei denen sich leicht eine verhaltensbiologische Brücke herstellen lässt. Bei den Kapiteln über Macht, Geld, Zeit, Alter, Freiheit ist das schwieriger. Z.B: bei letzterem Thema wird ausgeführt, dass gesunde Tierhaltung einen Freiraum für die Tiere erfordert.  Zuchtbedingungen, die zu sehr von der Natur abweichen, machen krank. Freiheit wird mit Übereinstimmung mit der Natur gleichgesetzt: " In der Natur haben Tiere die Freiheit, so viel Nahrung aufzunehmen, wie sie brauchen. Qualität und Quantität regelt der Instinkt." (Seite 133). Der Instinkt regelt das Verhalten, die Autorin erblickt darin kein Problem für den Freiheitsbegriff. Freilich hat der Mensch hier viel voraus: Das Denken über das Hier und Jetzt hinaus, die Selbstreflexion und Selbstveränderung. Das Kapitel schließt mit der persönlichen Aussage:" Jedem Menschen steht es frei, sich auf die positiven Aspekte seiner Tätigkeit zu fokussieren, oder, wenn nötig, zu kündigen," (Seite 136) oder etwas weiter unten: "Die meisten Menschen haben die Wahl, das Leben zu lieben oder nicht," (Seite 137). Das Kapitel über Geld bringt ausschließlich persönliche Assoziationen wie z..B. "Geld ist ein reziprokes Raubtier. Während in der Steinzeit die Anwesenheit eines Raubtieres Gefahr bedeutete, macht in der Gegenwart die Abwesenheit von Geld Angst." (Seite 53). (Der  Rezensent gesteht: Auch im Jahre 2014 würde ihn ein anwesendes Raubtier nervös machen).

Manche Kapitel, wie z.B. die über Neugier und über Neid, könnten in die Nähe ethologischer Zirkelschlüsse rücken, nämlich die "Entdeckung" von zum Menschen analogem Tier-Verhalten, nachdem vorher anthropomorphisiert wurde. Aber die Autorin begibt sich nicht in diese Gefahr. Sie führt Beobachtungen an, ohne zu sehr auf menschliches Verhalten zu schließen.

Insgesamt ist die Aufforderung, dem Tier in uns mehr Vertrauen zu schenken, im Einklang mit bekannten Forderungen wie: somatischen Markern zu vertrauen, das Bauchgefühl ernst zu nehmen. Das ist bei der Komplexität des Menschen nicht immer einfach (Seite 165).

Wichtig und ergänzenswert wäre auch die summarische Überlegung, wann das "Tier in uns" keine Orientierungsfunktion ausüben sollte. Auf Seite 32ff weist die Autorin ansatzweise selbst darauf hin und betont die Rolle der Selbstreflexion.

Das Buch kann als Beispiel für eine eingehende, (neuro-)biologische Befunde berücksichtigende Praxisreflexion gelten verbunden mit dem Mut, persönliche Gedanken und Stellungnahmen hinzuzufügen. Dem Leser bleibt überlassen, welche dieser persönlichen Stellungnahmen als überraschende Frucht der gedanklichen Verbindung von menschlichen und instinkthaft-tierischen Verhaltensweisen gewertet werden können. Ein interessiertes Zielpublikum (eine breite Leserschicht fast aller Altersstufen) wird jedenfalls viele noch nicht gewusste Einblicke in das Tierverhalten erhalten und gern den Appell aufnehmen, sich mehr der Selbstregulation des Körpers anzuvertrauen, die negativen Urinstinkte (Gefahrenerwartung, Alarmzustand) zugunsten einer positiven Einstellung zum Leben zu vermindern und manches von den Tieren im Umgang miteinander auf das menschliche Verhalten zu übertragen, ohne eine 1:1- Entsprechung anzupeilen!

Meta-Daten

Sprache
Deutsch
Anbieter
Education Group
Veröffentlicht am
13.02.2014
Link
https://www.edugroup.at/bildung/paedagogen-paedagoginnen/rezensionen/existenz-entwicklung-tod/detail/instinkt-das-tier-in-uns.html
Kostenpflichtig
nein