Nervenheilkunde. Zeitschrift für interdisziplinäre Fortbildung
Die "Nervenheilkunde" referiert nicht nur Wissenswertes ( CME -continuing medical education), sondern auch Kritik.
Herausgeber: Spitzer M
Verlag: Stuttgart: Schattauer
Erschienen: 2015
Zum Inhalt
Dem Rezensenten liegen die ersten beiden Ausgaben von 2015 vor. Der Inhalt der Zeitschrift gliedert sich nach Anmerkungen zum vorliegenden Heft und nach dem Editorial (in der Ausgabe 1-2 befasst sich Spitzer in "Digital genial" kritisch mit den großen - und unberechtigten - pädagogischen Erwartungen an die Digitalisierung; in der Ausgabe 3 nimmt Spitzer die "Cyberchondrie" bzw. den "Morbus Google" auf´s Korn, d.h. die verzerrte Informationsaufnahme von Diagnosen durch Nichtwissen und daher Nichtberücksichtigung von Auftrittswahrscheinlichkeiten diagnostischer Alternativen bzw. die strukturlose Anhäufung von "Faktoiden"); es folgen dann die Beiträge zum Hauptthema (in Ausgabe 1-2 geht es um Trends bei Hilfen für Kinder, in Ausgabe 3 um wichtige Erkenntnisse bei der Parkinsonerkrankung), es folgt jeweils ein Übersichtsartikel (in Ausgabe 1-2 geht es um die Biomarkeridentifizierung und Anwendung bei der Muskeldystrophie, in Ausgabe 3 um die integrierte Versorgung von Patienten mit Depression. Der darauf folgende Beitrag unter dem Titel "Gehirn und Geist" beleuchtet in 1-2 die sogenannten Helikopter-Eltern (überfürsorgliche, kontrollierende Eltern, die bildlich gesprochen über den -- oft schon erwachsenen - Kindern schweben) und in 3 die Verschwörungstheorien - ein Beispiel für die thematische Bandbreite der Zeitschrift. Verbandsnachrichten und Verschiedenes runden die Gliederung ab.
Die "Nervenheilkunde" referiert nicht nur Wissenswertes ( CME -continuing medical education), sondern auch Kritik. So wird im Kommentar zum Heft 1-2 gleich auf Seite 4 die Ansicht als anachronistisch bezeichnet: Für Kinder- und Jugendlichentherapeuten genüge ein Bachelor-Abschluss. Außerdem wird betont, dass die Familie mehr und mehr in die Behandlung einbezogen werden müsse. Die schon erwähnte Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien, den negativen Auswirkungen einseitiger Bedeutungsverleihungen auf das Engagement für das Gemeinwesen, auf gesundheitsbezogene Maßnahmen wie Impfungen, stellt ein weiteres Beispiel für den kritischen Ansatz der Zeitschrift dar. (Anmerkung des Rezensenten: Verschwörungen kann es geben, das wird niemand bestreiten. Aber oft werden welche irrtümlich wahrgenommen. Kohärenz und Widerspruchsfreiheit gelten als Wahrheitsgaranten. Sie reichen aber nicht aus. In einem bekannten Intelligenztest für Kinder gab es ein Puzzle, das richtig zusammen gesetzt eine Hand ergab. Allerdings konnte man die Puzzleteile auch passgenau anders zusammen setzen, woraus sich kein sinnvolles Gebilde ergab - eine Metapher für falsche Zusammenhänge, für ein Wahngebilde).
Heft 1-2 widmet sich eingehend den professionellen Hilfen, Pflegeverhältnissen, Inobhutnahmen von missbrauchten Kindern und Jugendlichen, den Hilfen für Kinder von psychisch kranken Eltern, den Folgen wie soziale Angst, Sprachentwicklungsstörungen u.v.a.m.
Heft 3 bringt unter vielen Aspekten auch die Betonung des Schmerzes bei der Parkinson-Erkrankung ein, z.B. der oft orthopädisch gedeutete Schulter-Arm-Schmerz. Interessant auch das Konzept des "herausfordernden Verhaltens" (die mit der Parkinsonerkrankung in Verbindung gebrachte Agitation und Aggression des Patienten). Sehr aufschlussreich und praxisrelevant sind die Hinweise zur Fahrtauglichkeit bei Parkinsonkranken. Es wird für individuelle Zugänge zur Entscheidungsfindung plädiert: Fahrtauglichkeit ist nicht schon durch Medikamenteneinnahme an sich in Frage gestellt, sondern muss im konkreten Einzelfall beurteilt werden. Der orthostatische Blutdruckabfall bei Wechsel von Liegen in Sitzen oder Stehen, und die Blutdruckerhöhung in der Nacht) sind nicht-motorische Beschwerden der Parkinsonerkrankung, die noch mehr Beachtung verdienten.
Die skizzenhafte Darstellung mag genügen, um die Themenvielfalt, Praxisrelevanz und Auseinandersetzung mit gesellschaftsbezogenen Inhalten aus der Perspektive der Nervenheilkunde bewusst zu machen! Das Wissen ist so aufbereitet, dass auch Leser außerhalb Psychiatrie und Neurologie in ihrer Meinungsbildung davon profitieren!