Interkulturelle Philosophie
Worum geht es in diesem Buch über Interkulturelle Philosophie? Das Thema: Philosophie; die Situation: Globalisierung; der Anlass: Zentrismen; das Ziel: Philosophieren mit und zwischen Differenzen; die Frage: Kulturen, Geschichte, Normen.
Autor: Wimmer F M
Verlag: UTB 2470. Wien: Facultas WUV
Erschienen: 2004
Zum Inhalt
Was der Autor, Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien, anstrebt, ist in der Einleitung steckbriefartig angeführt. Das Thema: Philosophie ; die Situation: Globalisierung; der Anlass: Zentrismen; das Ziel: Philosophieren mit und zwischen Differenzen; die Frage: Kulturen, Geschichten, Normen; der Text. (Beim letzten Stichwort erfolgen Hinweise, wie der Autor mit Zitaten umgeht, mit Fremdwörtern und deren Transkription etc.)
Nach dieser originellen und prägnanten Hinführung zum Aufbau und Zweck der Einführung in die Kulturphilosophie folgen 5 Kapitel: Zunächst werden Begriffe erläutert ( Philosophie, Kultur, interkulturelle Philosophie, die Mehrzahlbildung von Philosophie und Kultur). Dann werden Ansätze interkultureller Philosophie unter den Stichworten Zentrismuskritik, Entkolonialisierung philosophischer Begriffe, Polylog als Idee reflektiert. Kapitel 3 rückt die Historizität der Philosophie in den Mittelpunkt, in sieben Thesen wird besonders das Postulat betont: kulturübergreifend zu periodisieren, klassifizieren etc. Das folgende Kapitel fokussiert Aspekte der Hermeneutik und Interdisziplinarität: Nichtverstehen, Missverstehen, Verständigung; die Wissenschaft vom kulturell und religiös Fremden. Kapitel 5 setzt sich mit der Universalität von Normen auseinander und kommt Inkonsistenzen der Praxis und Theorie auf die Spur. Auch das Thema Religionsfreiheit wird aufgegriffen. Das Abschlusskapitel bringt Skizzen zu den Ursprüngen der Philosophie in China, Indien und im Islam. Ein Glossar ist dem Buch noch angefügt.
Originell ist der Gedanke, dass wir nicht nur eine kulturbezogene Lebensführung haben, sondern auch eine kulturelle Art zu denken, die alles umfasst, was uns selbstverständlich oder fremdartig erscheint, was wir glauben oder nicht glauben (Seite 7). Anmerkung des Rezensenten: Alfred Adlers tendenziöse Apperzeption könnte mit einem kleinen Zwischenschritt in die Psychologie das Zustandekommen dieser Kontextbezogenheit des Denkens erklären helfen.
Der Autor macht hilfreiche Begriffsdifferenzierungen. Z.B. unterscheidet er einen expansiven Zentrismus (alleiniger aktiv betriebener Geltungsanspruch einer Ideologie) von einem separativen Zentrismus (die verschiedenen Ideologien existieren abgegrenzt inselhaft nebeneinander) und von einem integrativen Zentrismus (Miteinanderleben trotz Unterschieden, auf die Strahlkraft der eigenen Position vertrauend).
Interessant ist die Idee eines Polylogs, d.h. eines interkulturellen philosophischen Gedankenaustauschs, die Entwicklung vom einseitigen zentralen Monolog, der sich langsam öffnet und Gegenseitigkeit zumindest in Teilen zulässt (Stufe des Dialogs), bis hin zur vollständigen gegenseitigen Einflussnahme (Polylog).
Wer am Schluss des Buches ein Resümee erwartet, wird enttäuscht (man findet aber viele Quintessenzen vorher). Das Buch endet mit der Darstellung der islamischen Perspektive.
Das Buch setzt sich auf einer Metaebene mit interkultureller Philosophie und ihren Bedingungen auseinander, z.B. die Überlegungen zum Umgang mit der Spannung zwischen regionaler Kontextbezogenheit und universalem Geltungsanspruch. Das Dilemma der Kulturalität jeder Philosophie liegt ja im Doppelanspruch, allgemeingültig zu sein und doch auch im kulturellen Kontext eingebettet zu sein. Oder die Reflexion der Bezeichnung In Afrika entwickelte Philosophie (Bereiche der Philosophie, die an Universitäten in Afrika gelehrt werden) statt afrikanische Philosophie ( vorrangig in Afrika entstandenes oder bestehendes philosophisches Denken, typisch für Afrikaner/innen) (Seite 113). Oder die Überlegungen, was „Philosophieren“ ausmacht: Inhaltlich ontologische , erkenntnistheoretische und normentheoretische Fragen (Seite 26), formal die Suche nach Antworten auf diese Grundfragen durch Definieren von Begriffen, Entwicklung von Argumenten, methodisches Gewinnen von Erkenntnissen und Streben nach Irrtumsvermeidung (ebd.) und methodisch z.B. durch Analyse von Theorien, Methoden und Aussagen verschiedener Wissenschaften mit dem Ziel, allgemeine Prinzipien zu gewinnen; oder durch Suche nach unaufgebbaren Werten oder durch Herstellen von Zusammenhängen in der Geisteswissenschaft. Ziel all dieser Überlegungen ist das Ernstnehmen eines wichtigen Sachverhaltes: "Dass es wohl in jeder philosophisch bedeutsamen Frage..vermessen wäre zu behaupten, es gäbe eine einzige, vollständige und unüberholbare Antwort" (Seite 29). Eindrucksvoll auch die Überlegungen zu den Menschenrechten, die vermeintliche Eurozentrizität z.B. des ersten Artikels der Menschenrechte kann mit einem anthropologischen Grundmotiv aus der konfuzianischen Philosophie relativiert werden:"Der Mensch kann demnach vor allem durch sein Vermögen, Mitgefühl..zu empfinden, charakterisiert werden." (Seite 171f)
Das Buch bringt eine Vielfalt von Anregungen, der Autor bedient sich einer verständlichen "einfachen" Sprache, die zugängiger ist als so manches Philosophen-Deutsch und doch eine hohe Prägnanz aufweist. Was man aber dem Buch wünschen könnte, ist, bei einer weiteren Auflage von der wohltuenden Wirkung der Textgliederung Gebrauch zu machen und dabei auch Möglichkeiten einer Stimulanz zu nützen durch Fragen an die Leserschaft, Beispiele, Veranschaulichung (wie sie der Autor ja selbst z.B. beim Erörtern des Polylogs verwendet).
Insgesamt verspricht (und hält) das Buch hohen Informationsgewinn! Der Autor bereitet den Boden auf für interkulturelle Begegnungen von unterschiedlichst positionierten Philosophinnen und Philosophen. Die Leserinnen und Leser erhalten in gewisser Weise (selbstverständlich diskutieroffene) Leitlinien für die Auseinandersetzung mit der interkulturellen Philosophie!