Guter Unterricht. Was wir wirklich darüber wissen.
"Wie lassen sich die vielen, nicht immer übereinstimmenden Erkenntnisse ordnen, wie bewerten? Was bedeuten sie wirklich?" Die Betonung im Untertitel liegt unmissverständlich auf den Worten "wirklich" und "wissen".
Autor: Gold A
Verlag: Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Erschienen:2015
Zum Inhalt
Gold A (2015): Guter Unterricht. Was wir wirklich darüber wissen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Die bezeichnender Weise sieben Kapitel ("7" ist eine "gute" Zahl in der Psychologie z.B. in Bezug auf Merkbarkeit) befassen sich zunächst damit, wie Kinder lernen und was die Lehrer dazu beitragen; dann ermutigen sie dazu, zum Denken herauszufordern, Lernprozesse zu unterstützen, Lernfortschritte zu erkennen und zu bewerten, eine Klasse zu führen, richtige Lehrmethoden einzusetzen und die eigenen Ressourcen zu schonen. Alles Forderungen, die nicht neu sind! Das Buch sei an sich "kein Thema", urteilt der Autor selbst und weist auf andere Neuerscheinungen aus dem Bereich der Unterrichtsforschung hin. Was ist dann das Proprium dieses Werkes und die Motivation zu diesem Buch? Der Autor antwortet selbst: "Wie lassen sich die vielen, nicht immer übereinstimmenden Erkenntnisse ordnen, wie bewerten? Was bedeuten sie wirklich?" (Seite 11). Das also bewegt den Autor: "Die wichtigsten Erkenntnisse in einer Weise darzustellen und zusammenzufassen, die sich in empirischen Details nicht verliert, den Forschungsbezug aber dennoch nicht leugnet"(Seite 11). Ohne Anbindung an die Praxis bleiben die Forschungsergebnisse bedeutungslos. Die Betonung im Untertitel liegt unmissverständlich auf den Worten "wirklich" und "wissen".
Die empirische Bildungsforschung ist angefragt; das heißt allerdings nicht, dass das Buch nicht auch gewisse Annahmen trifft, z.B. die sogenannten Tiefenstrukturen, die auch die Sprachwissenschaft postuliert hat, und die ebenso eine sinnvolle Konstruktion im Unterricht darstellen: Man versteht darunter basale, qualitätsbezogene, zum Unterschied von den Oberflächenstrukturen (z.B. Lehrmethoden, Organisationsformen des Unterrichts etc.) nicht so leicht sichtbare Unterrichtsmerkmale. Gold widmet die Kapitel 2 bis 5 den wichtigsten Tiefenstrukturen guten Unterrichts: 1) die kognitive Aktivierung der lernenden Kinder, 2) die konstruktive Unterstützung des individuellen Lernprozesses, 3) das Erkennen von Lernfortschritten und die Verwertung dieser Kenntnisse für das weitere unterrichtliche Vorgehen und 4) schließlich eine effiziente Klassenführung. Eigentlich könnten "unterhalb" der Tiefenstrukturen noch weitere, tiefere Strukturen angenommen werden, darüber hat sich Gold aber nicht geäußert. Gold ist sich bewusst, dass Annahmen getroffen werden, diese lassen sich aber in ihren Konsequenzen beobachten bzw. empirisch prüfen.
Wo die Setzung von Annahmen, von bestimmten Gegebenheiten und Bedingungen beispielsweise auch deutlich wird, ist die auf Seite 111 beschriebene Normorientierung der Lehrer/innen: Eine individuelle Norm kann die Lernfortschritte eines bestimmten Kindes demonstrieren, eine summative Verwendung wäre allerdings nicht legitim - dazu bedarf es einer sachlichen, kriterialen Norm, die dann sichtbar macht, wer aller das Leistungskriterium bewältigt hat. Was Gold nicht anführt, ist die große Versuchung mancher Lehrer/innen, die summative Bewertung pro Klasse normalverteilungsorientiert zu gestalten, d.h. rund 2/3 der Schüler einer Klasse im Durchschnittsbereich anzusiedeln, und je 1/6 an den Rändern der Normalverteilungs-"Glocke". Sehr wertvoll ist Golds Kritik der Verwendung sozialer Bezugsnormen, die eine Leistungsrangordnung in der Klasse herstellen lässt. Immer noch setzen sogar Kindergartenpädagogen soziometrische Methoden ein, ohne dann die für einige Kinder recht negativ erlebte Außenseiterposition zu bearbeiten.
Obwohl Gold bescheiden meinte, das vorliegende Thema sei kein Thema, zeigt er doch, wie wertvoll neue Perspektiven auf "alte" Probleme sein können, z.B. der Aspekt der Selbstregulation bei Gefahr der Erschöpfung von Ressourcen infolge Stress, Konflikten, Belastungen (Seite 158f).
An vielen Stellen des Buches "reibt" sich der Autor an einem neuseeländischen Bildungsforscher, John Hattie, der mehr als 50 000 Einzelstudien und mehr als 900 Metaanalysen seinerseits eingehend analysiert hat (Seite 74), z.B. hinsichtlich der Wirksamkeit bzw. Bedeutung bestimmter Einflussfaktoren für die schulische Lern- und Leistungsentwicklung. Gold kritisiert z.B. das Fehlen der "kognitiven Aktivierung" als Wirkfaktor in Hatties Studie. Ein anderes Mal (Seite 108) wird die Datenlage bezüglich der Arrangements zur Lernfortschrittserkennung (formatives Assessment) bemängelt, um dann schließlich auf Seite 164 zur Rehabilitierung von Hattie aufzurufen, dessen große Leistung respektiert werden muss -trotz mancher Relativierungen.
Das schmale Buch enthält eine große Zahl an Fakten, Theorien und Konzepten für zahlreiche Facetten des Unterrichtens. Es ist verständlich geschrieben, aber wegen seiner Informationsdichte eignet es sich nicht zum "Kursivlesen"! Eine breite Leserschaft aus den Bereichen des Unterrichtens wird mit diesem Werk direkt angesprochen und zum Nützen der Forschungserkenntnisse in der Unterrichtspraxis angeregt! Für Pädagogen, Psychologen - und auch für andere Wissenschaftsbereiche ist das Buch in seiner Interaktion von Forschung und Anwendung vorbildlich! Eine empirie-gestützte Pädagogik ist hier demonstriert - man steht auf dem festen Boden fundierter Erkenntnis. Das gibt Sicherheit und macht Mut zur Anwendung!