Entwicklungsdimensionen der Liebe. Wie Paarbeziehungen sich entfalten können
Die Stärke des Buches liegt im ansprechenden Blumensymbol mit den fünf Blütenblättern, die jeweils eine Entwicklungsdimension bezeichnen.
Autor: Jan Bleckwedel
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen
Erschienen: 2014
Zum Inhalt
Der Autor ist Psychologe und Psychotherapeut, Supervisor und Ausbildner in Paar- und Familientherapie. Bleckwedel adressiert alle Interessierten, die "dieses Buch mit Vergnügen und Gewinn lesen können.." (Seite 7). Es war nicht leicht:"Verständlich und einfach schreiben und gleichzeitig die Komplexität erhalten" (ebd), ein Theorieband über ein systemisches Entwicklungsmodell für Paarbeziehungen sei unterwegs (Seite 8).
Das Buch hat drei Teile. Teil A stellt die Frage, wie Liebe spannend bleiben kann. Der Autor lädt zum dreidimensionalen Sehen ein: fokussiert werden nicht nur die beiden Beziehungsträger, sondern auch die Beziehung, die sie gemeinsam entwickeln. Das ist interessant. Etwas verwirrend wird es kurzfristig allerdings, wenn man den dreidimensionalen Blick auf einen Entwicklungsraum lenkt, der fünf Dimensionen hat.
Die Entwicklung einer Liebesbeziehung wird mit der Metapher "gemeinsames Projekt" gekennzeichnet. Schöne Betrachtungen finden sich auf Seite 32 zur Grundstimmung, die sich in einer Beziehung entwickelt, und zur wachsenden Resilienz - zu beidem würde man vom Autor gern noch mehr aus seiner Erfahrung hören. Der Schluss von Teil A mahnt zum Realismus: keine Chance ohne Risiko, kein Traum ohne Schranken, nicht alles lässt sich mit einem Partner verwirklichen. Es folgt eine Metaphernfülle: das gemeinsame Projekt ist eine lange Reise ins Ungewisse, es flattert davon, wird ein federnder Boden und ist ein Geschenk (Seite 35).
Teil B zeigt ein Modell für die Entwicklung von Liebesbeziehungen. Der Autor beschreibt 5 Bezogenheitsformen: sinnlich, sprachlich, generativ, psychologisch, intim. Diesen Formen entsprechen fünf Entwicklungsbereiche: Verliebt sein, miteinander sprechen, gemeinsam tun, Gegenseitigkeit aushandeln, Intimität teilen. Zu diesen Bereichen gehören Entwicklungsaufgaben, die in der im Buch nun folgenden Beschreibung der einzelnen Bereiche zur Sprache kommen. Einige Anmerkungen seien gestattet, eine eingehende Schilderung kann aus Platzgründen nicht erfolgen. Zunächst, die fünf Blütenblätter (die Blume wird als Illustration für das Modell gewählt) sind nicht auf einer Ebene:" Miteinander sprechen, gemeinsames Tun, Gegenseitigkeit aushandeln" sind Aktivitäten. " Verliebtsein und Intimität teilen" bezeichnen Zustände. "Miteinander sprechen und Gegenseitigkeit aushandeln" sind Subdimensionen vom Miteinander-Tun. Das tut aber der Praktikabilität keinen Abbruch und ist mehr eine Formulierungssache (das zeigt sich z.B. auch darin, dass sowohl "Verliebt sein" als auch "Intimität teilen" sehr aktiv und dynamisch beschrieben werden).
Die Anregungen, z.B. im Bereich "Verliebt sein" sind sehr differenziert: Die Partner sollen zwischen Zärtlichkeit und Begehren einen eigenen Weg finden, eine eigene erotische Kultur entwickeln, gegenseitige Liebenswürdigkeiten entwickeln. Diese Empfehlungen setzen hoch an und gehen von kooperationswilligen und -fähigen Partnern aus
Der Bereich der verbalen Kommunikation wird plakativ verteidigt, indem er vom dinghaften Kommunikationsstil der Männer abhebt zum (weiblichen) Aushandeln, Gestalten von Beziehungen (Seite 64).
Seite 68ff bietet einen Vorschlag für Gesprächsformate: Alltägliches Sprechen, zärtliches Geflüster, Streiten, Konflikte bearbeiten, um nur einige zu nennen. Auch Metakommunikation, z.B. Reden über die Beziehung, wird empfohlen. Es erhebt sich die Frage nach den Adressaten für diese verbale "Speisekarte": für akute Partnerprobleme sind die Anregungen noch relativ allgemein und abstrakt, für Therapeuten ist Vieles bekannt.
Auf Seite 78 führt der Autor die getrennten Schlafplätze von Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir als Beispiel für eine Nähe-Distanz-Regulation an. Man muss bei diesem Beispiel allerdings bedenken, dass dieses Paar eine nicht alltägliche Beziehungsform gelebt haben dürfte und als generalisierbares Beispiel nicht so geeignet ist.
Manchmal stehen Texte an Stellen, die nicht zwingend sind, z.B. die Ausführungen auf Seite 81 (gemeinsames Tun) könnten ebenso gut beim Kapitel "Gegenseitigkeit aushandeln" platziert werden. Dies zeigt die Durchlässigkeit der Entwicklungsbereiche und ist durchaus gewünscht.
"Gegenseitigkeit aushandeln " wird mit dem etwas nebulosen Begriff "Psychologisches Bezogensein" versehen. Besser wäre etwa: " Dialogische Individuation". Oder man bleibt bei "Individuation" (die ja ohne Du nicht stattfindet).
Etwas voyeuristisch mutet auf Seite 104 die Definition von Intimität bzw. Intimität-Teilen an: "jemanden dabei zu beobachten, wie das Verborgene entdeckt wird" (Seite 104). Eine andere Möglichkeit, Intimität darzustellen, wäre etwa das Modell der konzentrischen Kreise (Zwiebelmodell von Kurt Lewin): Gegenüber einem Außenkreis, der alles beinhaltet, was öffentlich ist, und einem mittleren Kreis, der das umfasst, was man mit Freunden teilt, gibt es einen Innenkreis, der nur sich selbst - oder einer innigen Beziehung - vorbehalten ist.
Teil C bringt eine tabellarische Übersicht über die Entwicklungsdimensionen und eine Liste von Entwicklungsaufgaben, die aber in dieser noch sehr allgemeinen Formulierung einer Operationalisierung bedürfen. Abgerundet wird dieser Teil durch ein kommentiertes Glossar, das allerdings in einem breiten Strom sehr viele Namen von Systemtheoretikern und systemischen Therapeuten mit sich führt. Ob dieser beeindruckende Schwall von Referenzangaben (Seite 139) dem Namen "Glossar" entspricht, ist allerdings nicht so eindeutig: Es werden wichtige systemische Theoretiker bzw. Therapeuten meist mit einem oder zwei Begriffen gepaart, die für eine breite Leserschaft erklärungsbedürftig wären, etwa Mentalisierung, Zweifühlung, Zirkularität, Kontextsensibilität.
Die Stärke des Buches liegt im ansprechenden Blumensymbol mit den fünf Blütenblättern, die jeweils eine Entwicklungsdimension bezeichnen. Jedesmal kann eine andere Dimension in die Mitte gestellt werden, umrahmt von den vier anderen Bereichen (die nun zusätzlich auf die Mitte bezogen werden könnten - Anregung des Rezensenten). Man kann sich gut vorstellen, dass man in einer Partnerberatung die Blume aufzeichnet und einen Schwerpunkt setzt und diesen mit Entwicklungsaufgaben in Verbindung bringt.
Durchaus vorstellbar ist auch, dass Paare nach der Lektüre dieses Buches nachdenklich, schmunzelnd oder betroffen ihre Partnerschaftsblume visualisieren und zum Ausgang von Beziehungsklärungen, -Auffrischungen einsetzen. Das Blumensymbol hat einen hohen Aufforderungscharakter und eine unmittelbare Evidenz.
Wertvoll ist außerdem der Gedanke, dass die einzelnen Bereiche aufeinander aufbauen, aber allesamt offen bleiben für Einflüsse durch Interaktionen verschiedenster Art; dass es Abfolgen, aber auch Gleichzeitigkeiten, Sprünge und Kippeffekte in der Beziehungsentwicklung gibt. Dem Autor gelingt es, dem Leser ein dynamisches Kräftespiel der Paarbeziehung zu vermitteln und den Text zu einem Leseabenteuer zu machen!